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Die Asche Meiner Mutter
Notizen zum Film von Alan Parker
"Als ich den Ort Limerick in Irland im April 1998 das erste
Mal besuchte, hatte ich einen Stapel Landkarten unterm Arm. Ich
hatte sie mir von einer der vielen Web-Seiten von Fans des Buches
"Die Asche meiner Mutter" herunter geladen. Diese Web-Seite
war etwas ganz besonderes - sie war japanisch. Weshalb die Menschen
einer Kultur, die sich völlig von der irischen unterscheidet,
so enorm an Frank McCourts Geschichte interessiert sind, war
mir ein Rätsel.
Ich streifte durch die Straßen, die die japanischen Fans
- scheinbar von jedem einzelnen Detail in Franks Buch besessen
- liebevoll kartografiert hatten: 'Erster Wohnort Windmill St.
(bis zu Olivers Tod);' 'St. Joseph Kirche (erste Kommunion, Firmung);'
'Lyric Cinema (1964 geschlossen, jetzt Parkplatz).'
Auf unserem Streifzug entdeckten wir, dass nun auch der Besitzer
vom South's Pub Fotos aufhängte, auf denen er Fremde umarmte,
die man gut an ihrem breiten, nichtirischen Lachen erkennen konnte.
Zweifelsfrei lehnten die Geister von Malachy Senior, Onkel Pa
und Mister Hannon an der Bar, schlürften ihr Guinness und
fragten sich, weshalb ihr Lokal inzwischen so populär ist.
Ich schreibe dies alles, nachdem der Film abgedreht und die
besessene 'Suche nach den McCourts' sicherlich noch populärer
geworden ist, denn überall sieht man Aushänge für
regelmäßige "Walking Tours": "Täglich
um 14:30 Uhr" verkünden die Flyer, "Individuelle
Begleitung", "4 Irish punts (10,- DM) pro Person!"
Jede Menge 'McCourties', eine abgewetzte Kopie von Franks Memoiren
unter den Arm geklemmt, laufen auf der Suche nach Roden Lane
regelmäßig den Barrack Hill hinauf und sind überrascht,
sie dort nicht mehr zu finden. Ich glaube, jeder, den man in
Limerick trifft, gehört ab einem gewissen Alter zu einer
von zwei Gruppen: Die eine behauptet steif und fest, dass dieser
hochnäsige und reich gewordene, irische Yankee seine Kindheitserinnerungen
schamlos übertrieben hat. Die andere waren Nachbarn von
den McCourts.
Es war nur ein Jahr her, seit ich die Erstausgabe von Frank
McCourts Buch gelesen hatte, aber in dieser kurzen Zeitspanne
war es bereits mit dem Pulitzer-Preis für Non-Fiction ausgezeichnet
worden und auf bestem Wege zu dem phänomenalen Bestseller,
das es heute ist.
Zur Zeit ist das Buch Die Asche meiner Mutter in 25
Sprachen erhältlich und wurde in 30 Ländern über
6 Millionen Mal verkauft. Es stand 117 Wochen auf der Bestsellerliste
der New York Times. Als ich mein Interesse an den Filmrechten
des Buches bekundete, hörte ich zu meinem Leidwesen, dass
der kluge Produzent David Brown bereits zugeschlagen hatte und
den Film gemeinsam mit dem vielseitigen Scott Rudin produzieren
wollte. Die australische Autorin Laura Jones hatte ein erstes
Drehbuch verfasst.
Nachdem man mir die Regie angeboten hatte, begann ich mit einem
eigenen Drehbuchentwurf. Jeder, der Franks Herz ergreifende Memoiren
gelesen hat, hat wahrscheinlich seinen eigenen Film im Kopf.
Aus Sicht eines Filmemachers ist das eine gefährliche Situation.
Die 'Stimme', die Franks Geschichte erzählt, ist ein wesentlicher
Bestandteil des Buches und vielleicht sein wichtigstes Merkmal:
Die Weisheit des pensionierten Lehrers spricht in der ersten
Person singular und Gegenwartsform, und zwar aus der Perspektive
eines jungen Kindes.
Zig Jahre hatte Frank sich Notizen über seine Kindheit
gemacht, die inzwischen einen ganzen Rucksack füllten. "Ich
hatte früher einfach keine Zeit," sagt er, "weil
ich all die Jahre viel zu sehr mit den Romanen anderer Leute
beschäftigt war. Außerdem war die Zeit noch nicht
reif. Zuerst musste meine Mutter sterben und ich musste erwachsen
werden. Und dazu brauchte ich sehr viel Zeit."
Außerdem hätte er die eigene Stimme noch nicht gefunden:
"Ich ahmte den Stil von Evelyn Waugh oder James Joyce nach."
Seiner Meinung nach hat er die ,Stimme' seiner Enkelin Chiara
zu verdanken. "Ich beobachtete sie in ihrer Direktheit.
Sie nimmt keine Rücksicht und ist nicht vorsichtig. Egal
was sie tut, sie ist immer voll und ganz bei der Sache. Und dann
begann ich mit der Stimme eines Kindes zu schreiben, direkt,
drängend, ohne Rücksicht oder Vorsicht. Kinder lügen
nicht."
Wenn man eine literarische Vorlage in ein filmisches Korsett
zwängen muss, kommt man nicht umhin, bestimmte Charaktere
und Situationen fallen zu lassen. Ich traf mich mit Frank zum
Lunch und wir redeten über das Drehbuch und die damit zusammenhängenden
Probleme, und er war, wie immer, außerordentlich großzügig,
konstruktiv und hielt auch seine Worte nicht für unantastbar.
Er ist ein angenehmer Gesprächspartner; ein natürlicher
Geschichtenerzähler, der keine Umschweife macht und voller
Witz steckt, so sehr, dass es heißt: Wäre Reden eine
olympische Disziplin, dann würde Frank für Irland reden.
Ich glaube, er hat sich anfangs überlegt, das Drehbuch selbst
zu schreiben, aber er kam letztlich wohl zu dem Schluss, es wäre
weit besser, diese Aufgaben jemandem zu überlassen, der
das Ganze aus einem neutralen Blickwinkel betrachtete.
Außerdem dürfte es für jeden Schriftsteller
schmerzhaft sein, heiß geliebte Passagen oder Personen
zu opfern: Mr. Timoney oder Mr. Hannon? Theresa oder Patricia?
Mr. O'Neill oder Mr. Benson? South's oder Gleeson's? Dennoch
ermutigte Frank (immer der freundliche Englischlehrer) Laura
und mich immer wieder, als wir am Drehbuch arbeiteten und lobte
uns überschwänglich, als es fertig war.
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