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Cecil B. - Entführt, gekidnappt, zum Film gezwungen
Szenen
John Waters
Regie, Drehbuch
Geboren und aufgewachsen ist Waters in Baltimore, Maryland,
und seiner etwas vermufften Heimatstadt, die er liebevoll "Turmfrisuren-Metropole
der Welt" genannt hat, bleibt er nicht nur in seinen Filmen
zeitlebens treu.
Seinem familiären Background, der katholischen, gehoben
Mittelschicht sucht er schon als Kind zu entkommen. Er entwickelt
früh ein profundes Interesse an Unfällen, Katastrophen
und Kriminalfällen, je blutiger, desto besser, und besitzt
heute eines der umfangreichsten Serienkiller-Archive Amerikas.
Seine ersten Filme dreht er als Teenager mit einer 8-mm-Kamera:
Hag in a Black Leather Jacket, Roman Candles
oder Eat Your Make Up! sind Kurzfilme, in denen er einerseits
seine kulturellen Einflüsse verarbeitet (darunter die Splatter-
und Exploitation-Movies von Herschell Gordon Lewis und die Experimentalfilme
von Kenneth Anger), die lassen andererseits bereits seinen eigenen
Stil erkennen.
Gleichzeitig sammelt er in dieser Zeit seine "Filmfamilie"
aus Baltimore um sich, die aus Freunden und Nachbarn besteht
und zu der Originale wie der 150-Kilo-Transvestit Divine, die
zahnlückige Barfrau Edith Massey, sowie Mink Stole, Cookie
Mueller, Mary Vivian Pearce und David Lochary zählen. Mit
Multiple Maniacs, seinem ersten (16-mm-)Lang- und Tonfilm,
beginnt Waters 1971 den Angriff auf Religion, Moral und Geschmack
des Establishments.
Ein Jahr später, nachdem die wütende Presse seinen
"Ruhm" auch jenseits von Baltimore verbreitet hat,
gelingt es ihm, für seinen für 10.000 Dollar gedrehten
Pink Flamingos einen Vertrieb zu finden, der den Film
zu einem internationalen "Midnight"-Hit macht. Pink
Flamingos, die Geschichte eines Wettbewerbs zwischen drei
Frauen um den Titel "The Filthiest Person Alive", spart
nicht an Ekelhaftigkeiten und wird durch seine Schlussszene,
in der Divine echten Hundekot isst, zum Klassiker.
Waters, dessen perfide Liebenswürdigkeit stets makellose
Kleidung, gepflegtes Bleistiftbärtchen und die offene Bekenntnis
zu Walt Disney, Ingmar Bergman und Russ Meyer einschließt,
legt 1975 mit Female Trouble nach: Divine spielt darin
eine Frau, die so verzweifelt aus ihrer Mittelmäßigkeit
in den Ruhm entfliehen will, dass sie schließlich mordet,
um ihr Ziel zu erreichen.
Die scharfe Satire, gepaart mit gezielten Hieben tief unter
die Gürtellinie des "guten Geschmacks", kennzeichnet
auch Waters nächsten Film Desperate Living, in
dem es erneut um das Ausbrechen aus Konventionen und die Suche
nach einer Ersatzfamilie geht.
Ende der 70er Jahre erkennt der Regisseur, dass es zunehmend
schwerer wird, das Bürgertum zu provozieren. Mit Polyester
(1981) verzichtet er weitgehend auf visuelle Ferkeleien und lässt
sich stattdessen einen anderen Gimmick einfallen: Der Film wird
in "Odorama" gedreht, Waters reicht Pappkarten, auf
denen Duftmarken frei zu kratzen sind, zur Vorführung.
In den 80er Jahren kann er endlich die Früchte seiner Arbeit
ernten. Als Botschafter des gepflegten schlechten Geschmacks
anerkannt, finden weltweit Werkschauen mit seinen Filmen statt,
er selbst wird zum Gegenstand zahlreicher Film- und Fernsehportraits
und profiliert sich als Essayist und Buchautor ("Shock Value")
über diverse popkulturelle Phänomene.
Selbst die Stadt Baltimore reicht ihrem ewigen Enfant terrible
die Hand und erklärt den 7. Februar 1985 zum "John
Waters Day". Mit dem hübschen, kunterbunten Musical
Hairspray (1988) versucht er dann erste zaghafte Schritte
auf dem Gebiet des Mainstream, zwei Jahre später dreht er
mit Johnny Depp in der Titelrolle mit Cry-Baby einen
fast klassischen Teenegerfilm.
Pünktlich zum 25. Jubiläum kommt sogar Pink Flamingos
1997 noch einmal, komplett restauriert und mit neuen Szenen,
in die Kinos. "Es ist schwer, drei Generationen hintereinander
zu entrüsten, aber es sieht aus, als ob mir das Kunststück
gelungen ist", erklärt er voll Stolz.
Mit der Komödie Serial Mom (1994) greift Waters
erneut das Thema von Mord und Medienruhm auf und nimmt damit
Oliver Stones kontroverses Serienkillerepos Natural Born
Killers quasi humorvoll vorweg.
Sein letzter Film, die Erfolgs-Story Pecker (1998),
führt schließlich die bürgerliche Welt Baltimores
mit der Kunstszene New Yorks zur Versöhnung zusammen.
Den Spitznamen "Cecil B. DeMented", den ein Journalist
ihm einmal gegeben hat, übergibt John Waters im Jahr 2000
mit der Premiere beim Filmfestival von Cannes feierlich an seine
neueste Filmfigur.
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