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crazy

Szene [600] [1024]

Wie in den Spiegel sehen, nur härter

Ein Gespräch zwischen
Romanautor Benjamin Lebert und Darsteller Robert Stadlober.

Robert: Wie war es für dich, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind?

Benjamin: Wie war's für dich?

Robert: Ich hatte total Angst. Das war beim Casting. Ich hatte deinen Roman gelesen und tierischen Respekt vor dir. Ich hab mich nicht getraut, dich anzusehen, und dachte nur, was du jetzt wohl von mir denken musst. Da war ja auch noch im Gespräch, dass du die Rolle selbst spielst, weil du natürlich am besten weißt, wie das mit so einer Behinderung ist. Ich hatte Angst, dass du mich für ein Arschloch hältst.

Benjamin: Für einen Arsch hab ich dich nicht gehalten. Ich war sehr nervös und fand das alles seltsam. Schlimm war dann die Situation, als wir zum Drehort gefahren sind. Es war halt nicht irgendein Internat, sondern genau das, auf das ich gegangen war.

Robert: Wie ging's dir, als du dann die Schule abgebrochen hast?

Benjamin: Die Entscheidung hat mich befreit. Und mir auch Angst gemacht, denn ich wusste überhaupt nicht, was dann kommt. Schon in der dritten Klasse wollte ich immer aufhören, aber meine Eltern haben das immer abgeblockt.

Robert: Hast du es mal bereut?

Benjamin: Nur wegen einer einzigen Sache: Ich hätte sehr gerne Literatur studiert. Wieso hast du abgebrochen?

Robert: In der Schule hatten sie ein Problem damit, dass ich nebenher Filme gedreht habe. Also bin ich auf eine private Schule gegangen, das war zuerst sehr schön, aber dann wurde es blöd. Es war auch einfach zu teuer. Ich hab dann mit meiner Mutter diskutiert, wie das jetzt weitergeht, vier Jahre bis zum Abitur und so weiter. Schon vor dem Gespräch wusste ich, ich geh nicht mehr hin. Filmedrehen und Schule, das geht nicht.

Ich wollte eine Sache richtig machen, und zwar das Drehen. Meine Mutter hat mit mir einen Vertrag gemacht, wo ich unterschreiben sollte, dass es meine Entscheidung ist. Hab ich gemacht. Dann bin ich in meine Wohnung und hab laut geschrien vor Freude.

Benjamin: Sollte ich eines Tages Kinder haben, werde ich ihnen jedenfalls glauben, wenn sie sagen, dass sie es in der Schule nicht mehr aushalten.

Robert: Themawechsel: Was ist das Schreiben für dich?

Benjamin: Zunächst mal Therapie. Wenn ich traurig wegen einem Mädchen bin, dann schreibe ich eine Geschichte, in der es gut klappt mit einem Mädchen. Ich träume einfach viel und stelle mir Sachen vor. Bei mir beginnt das Schreiben auch immer mit einem Gefühl. Immer Mädchen.

Robert: Welches Gefühl ist das? Bist du verliebt?

Benjamin: Eine Sache weiß ich sicher: Dass Mädchen nicht irdisch sind. Das erlebe ich real. Ein Mädchen braucht nur vorbeizugehen, und ich bringe kein Wort mehr heraus.

Robert: Ich war lange nicht mehr verliebt. Seit ich fünfzehn war. Das nervt mich. Ich bilde mir kurz ein, ich wäre verliebt, aber dann ist es doch nur Interesse oder Lust. Es war lange nicht mehr so, dass es "Bumm" macht, und ich Herzklopfen bekomme. Blöd. Schreibst du, um Mädchen kennenzulernen?

Benjamin: Nein. Außerdem habe ich bei crazy gemerkt, dass das nichts bringt. Die Mädchen, die man da trifft, verlieben sich nicht in mich, sondern in was ganz anderes.

Robert: Das kenne ich. Zu mir sagen Mädchen auf der Straße: "Och, guck mal, da is der süße kleine Wuschel aus Sonnenallee". Richtig ernst genommen fühl ich mich da nicht. Was machst du, wenn du Liebeskummer hast?

Benjamin: Nicht so viel Anderes als sonst. Ich sitze sowieso oft irgendwo alleine und denke nach. Bei Liebeskummer halt ein bisschen heftiger. Man steigert sich in philosophische Fragen hinein und hört Pink Floyd. Ich glaube, jetzt müssen wir wieder irgendwie die Kurve zu dem Film bekommen.

Robert: Okay. Wie war's für dich, als du mich zum ersten Mal in der Rolle als Benjamin gesehen hast?

Benjamin: Zwei Gefühle haben mich beherrscht. Ich war froh, dass da etwas festgehalten worden ist. Du hast das super gemacht. Ich war richtig stolz auf dich.

Das andere Gefühl war: Wie hart! - Es war wie in einen Spiegel zu sehen, nur härter.

Robert: So habe ich das aber nicht gespielt. Vielleicht habe ich die Behinderung an ein paar Stellen leicht übertrieben. Ich durfte sie ja nicht zu sehr verdecken, sonst würde der Zuschauer sie unterschätzen.

Benjamin: Es war einfach sehr hart. Ich habe mich gefragt: Werden welche lachen, wenn du auf diesem läppischen Sprungturm stehst und ins Wasser hüpfst?

Robert: Daran hab ich auch gedacht.

Benjamin: Es gibt Phasen, da akzeptiere ich meine Behinderung und sage: Das gehört zu mir. Und dann fall ich wieder runter und sage: Wäre doch nur diese eine Kleinigkeit nicht. Totale Krise.

Robert: Bist du deshalb nicht mehr zum Drehort gekommen, weil ich nach dem "Danke" des Regisseurs wieder ganz normal laufen konnte?

Benjamin: Nein, das fand ich sogar lustig. Aber es war ein Problem für mich, dass ich das Gefühl hatte, für alle zu sehen zu sein. Das war echt hart. Als ich den Film dann zum ersten Mal ganz gesehen hab, ging es mir viel besser. Es war Wahnsinn, nur positive Gefühle. Da wollte ich Gott und die Welt umarmen. Von wem, glaubst du, hat der Benjamin im Film mehr Anteile, von mir oder von dir?

Robert: Von mir, glaub ich. Ich habe dich nicht nachgespielt. Bevor ich dich kennengelernt hab, hatte ich den Roman gelesen und das Drehbuch. Aus diesen Dingen habe ich mir ein Bild von Benjamin gemacht. Nur die Behinderung, die konnte ich mir nicht ausdenken, das habe ich von dir abgeschaut.

Benjamin: Wie schwierig schätzt du meine Behinderung im normalen Leben ein?

Robert: Sehr schwierig. Beim Spielen konnte ich nichts machen, ohne mich damit auseinanderzusetzen. Selbst eine Treppe hochzugehen, war superkompliziert. Und für dich gibt es wahrscheinlich keinen Moment, in dem du die Behinderung vergisst, oder?

Benjamin: Es ist genau so. Und es wird wohl immer so bleiben.

Robert: Wenn du träumst, bist du dann auch behindert?

Benjamin: Kommt darauf an. Manchmal träume ich, dass ich der schöne, starke Typ bin. Manchmal träume ich einfach, dass ich laufen kann und anfange zu rennen. Dann spüre ich sogar was im linken Bein.

Robert: Ich hab früher andauernd Tagträume gehabt. Da hab ich mich selbst interviewt, so als ob ich ein großer Rockstar wäre.

Benjamin: Sowas hab ich auch gemacht. Wenn ich in der Badewanne liege, verleihe ich mir manchmal den Nobelpreis. Da hab ich schon die ganze Rede parat: Zuerst kommen ein paar Danksagungen, dann sage ich etwas über die seelenlose Schönheit der Medienwelt. Eine Welt voller perfekter Menschen, die mir Angst macht und die ich hasse. Hast du nie von der Schauspielerei geträumt?

Robert: Doch. Ich hab mir vorgestellt, dass mich die Leute auf der Straße erkennen und ich Autogramme geben muss.

Benjamin: Da bist du auf einem guten Weg.

Robert: Auf alle Fälle träume ich davon, eines Tages ein großer Schauspieler zu sein, der nach seinem Tod einen Nachruf in der Tagesschau bekommt. Und so mit 65, da hätte ich gerne ein Haus, irgendwo, wo es schön ist. Da sitze ich dann und zünde mir eine Zigarre an und trinke ein Glas Rotwein. Dann kommen meine zwei Kinder und meine Frau.

Benjamin: Die ist dreißig und sehr hübsch.

Robert: Ja, genau. Woher weißt du das?


Das Gespräch zwischen Benjamin Lebert und Robert Stadlober fand im Januar 2000 in Neubeuern statt. Es ist in voller Länge im Buch zum Film crazy abgedruckt, das im Verlag Kiepenheuer & Witsch erscheint.



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