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Fantasia 2000
Walt Disneys ehrgeiziges Experiment der Bilder und Töne
Die Entstehung von Fantasia
Nur ein Jahr war vergangen, seit Micky Maus in Steamboat
Willie, dem ersten Zeichentrick-Tonfilm, sein Debüt
auf der Leinwand hatte feiern dürfen, da experimentierte
Walt Disney auch schon mit der Synthese von Musik und Zeichentrick.
Das erste Resultat war 1929 The Skeleton Dance, der
den Auftakt einer Reihe von Kurzfilmen bilden sollte, die unter
dem Titel Silly Symphonies berühmt wurde.
In den darauffolgenden zehn Jahren entstanden insgesamt 75 der
"albernen Symphonien", die zu einem wesentlichen Experimentierfeld
wurden für die späteren abendfüllenden Zeichentrick-Produktionen.
Disney wusste eben schon sehr genau um die Bedeutung von Musik,
seit der Ton in den Zeichentrick Einzug gehalten hatte.
Im Mai 1937, kurz vor der Fertigstellung von Schneewittchen
und die Sieben Zwerge, zog Walt Disney erste Erkundigungen
bezüglich der Rechte ein, um Paul Dukas' Komposition "Der
Zauberlehrling" für einen Zeichentrickfilm zu
nutzen. Zwei Monate später wurde der Vertrag dafür
unterzeichnet.
[Bild: Beethovens Sinfonie Nr. 5]
Nun stellte Disney Überlegungen an, dass die Mitwirkung
eines bekannten Dirigenten für das Projekt einen zusätzlichen
Prestige-Gewinn bedeuten würde. Ein zufälliges Treffen
mit Leopold Stokowski während eines Essens in Los Angeles
trug reife Früchte. Stokowski war von Disneys Idee begeistert
und sagte zu.
Zurück im Studio beauftragte Disney sein Autorenteam mit
der bildlichen Ausgestaltung eines Musikstücks als Handlungshintergrund
für den Star Micky Maus. Es sollten dabei keine Slapstick-Gags
im herkömmlichen Sinne zum Einsatz kommen. Vielmehr stellte
sich Disney, gerade auch im Blick auf die geplante Traumsequenz,
einen Ausflug ins Reich der Fantastik vor.
[Bild: Schostakowitsch - Klavierkonzert Nr. 2]
Disney damals: "Unser Film soll das Publikum faszinieren.
Versetzen Sie die Leute in Spannung, bieten Sie Unterhaltung,
aber vermeiden Sie den direkten Weg zum Zwerchfell. "
Disney behielt jedes Detail der Produktion fest im Blick und
stürzte sich voller Hingabe auf die ersten Entwürfe
um Mickys Auftreten und die dramatische Darstellung der Episode,
als das Wasser außer Kontrolle gerät und Micky den
Besen mit einer Axt Einhalt zu gebieten versucht.
Leopold Stokowski kam im Januar 1938 mit der fertigen Orchester-Partitur
nach Los Angeles und begab sich unverzüglich an die Arbeit
mit Autoren und Technikern im Disney-Studio in der Hyperion Avenue.
Man kam überein, dass die Einspielung im Selznick-Studio
stattfinden sollte, Disneys Tonmeister Bill Garity übernahm
die technische Leitung der Aufnahme.
[Bild: Pini de Roma]
Stokowski und ein Orchester aus handverlesenen Musikern begannen
mit der Einspielung gegen Mitternacht des 9. Januar; in den frühen
Morgenstunden des 10. Januar war die Aufnahme dann erfolgreich
in für damalige Zeit bestmöglicher Tonqualität
abgeschlossen. Mitte Januar fanden sich Stokowski und das Orchester
noch einmal für die Filmaufnahme des Ensembles auf der Tonbühne
des Disney-Studios ein.
Ebenfalls im Januar begannen die Zeichentrickarbeiten unter
der Regie von James Algar. Walt Disneys Begeisterung für
das Projekt wuchs im gleichen Maße wie die Kosten. Zuletzt
erreichte das Budget für den Kurzfilm Der Zauberlehrling
die Höhe von 125.000 Dollar, was dem drei- bis vierfachen
Budget einer "Silly Symphony" jener Zeit entsprach.
Disneys Bruder Roy, der die Finanzen des Studios überwachte,
argwöhnte, dass der Film unmöglich seine Kosten wieder
einspielen würde. Produzent Ben Sharpsteen erinnerte sich
später, dass Walt Disney diese Auseinandersetzung als Herausforderung
betrachtete.
[Bild: Rhapsody In Blue]
"Qualität war ihm wichtiger als der Kassenerfolg.
Und hier nahm ein neues Konzept erste Gestalt an: Die Zusammenstellung
von einzelnen Programmteilen unterschiedlicher Länge zu
einer großen Präsentation. Man hätte es als Variete
bezeichnen können, aber es wurde ein Konzert. Das war ein
Novum auf höchstem Niveau."
Im Februar 1938 gab es erste Überlegungen für einen
"Konzertfilm", was denn auch der Arbeitstitel für
das Projekt war. Leopold Stokowski begrüßte die Idee
und fand sich im September des Jahres als musikalischer Berater
wieder im Studio ein. Disney, Stokowski, der etatmäßige
musikalische Berater Deems Taylor und die Leiter für Drehbuchprojekte
Joe Grant und Dick Huemer sowie zahlreiche weitere leitende Angestellte
des Studios trafen sich zu dreiwöchigen Beratungen.
Aus Hunderten von Plattenaufnahmen wurde das Programm für
den Film herausgesucht. Stokowski nannte das Projekt eine Fantasia,
was in der Fachsprache der Musik eine Komposition beschreibt,
die in Form und Stil fantasievoll und eigenständig ist.
Dieser Begriff wurde zum neuen Arbeitstitel des Films und schließlich
ganz beibehalten.
Ende September wurde der Termin für die Tonaufnahmen zum
Film auf April 1939 in Philadelphia anberaumt. Im Frühjahr
1940 fanden die Filmaufnahmen mit Stokowski, Taylor und dem Orchester
in Disneys neuem Studio-Komplex in Burbank statt.
Neben den künstlerischen Pionierleistungen forcierte Disney
auch Neuerungen auf technischem Gebiet. Zu den neuartigen Projektions-
und Tontechniken, die ihm vorschwebten, gehörte auch die
Idee eines Schattenspiels, wo wandernde Besen mit Wassereimern
die Seitenwände des Kinosaals entlang huschen sollten. Disney
erwog auch ein neues Breitbild-Format und plante sogar, während
des Präludiums Parfümdüfte in den Kinosaal leiten
zu lassen.
Zuletzt konzentrierten sich seine Überlegungen jedoch ganz
auf ein außerordentliches neues Tonsystem, das die Zuschauer
mit Klängen umfassen und so nah wie möglich an den
Eindruck eines tatsächlichen Konzertbesuchs heranreichen
sollte. So erfand Bill Garity ein frühes Stereo-Tonsystem,
das Fantasound genannt wurde und während der gesamten Premieren-Tournee
des Films zum Einsatz kam.
Die Fertigstellung von Fantasia wurde zuletzt zum erbitterten
Wettlauf mit der Zeit. Es waren nur noch zwei Tage bis zur New
Yorker Premiere, als die letzten Kameraarbeiten für die
"Ave Maria"-Sequenz schließlich ihren Abschluss
fanden. Walt Disneys Drang nach Perfektion hatte die Kosten für
den Film auf die für damalige Verhältnisse enorme Summe
von 2,28 Mio. Dollar hinaufgetrieben.
Fantasia feierte am 13. November 1940 im Broadway Theater
in New York Premiere, wo der Film danach ein Jahr lang kontinuierlich
gespielt wurde. Vereinzelte harsche Kritiken wurden von einer
breiten Welle der Begeisterung hinweggespült. Time Magazine
widmete dem Film die Titelseite und Besprechungen im Film- und
im Musikteil. Dennoch kam die Erstauswertung des Films einer
finanziellen Katastrophe gleich, was verschiedene Gründe
hatte.
Die Kosten für die Fantasound-Installationen, der Verlust
von Einnahmen in Europa auf Grund des Krieges und ein Streik
der Disney-Beschäftigten hatten nachhaltigen Einfluss auf
den weiteren Kurs des Studios.
Obwohl bereits mehrere Projektideen für weitere Fantasia-Sequenzen
entwickelt worden waren, wurde keine davon realisiert. Einige
der Episoden in Fantasia 2000 - vor allem "Rhapsody
in Blue", "Der Karneval der Tiere" und "Der
Feuervogel"- waren bereits als Fortsetzungselemente in den
frühen 40er Jahren vorgesehen gewesen. Bereits 16 Tage nach
einer Privataufführung der Sequenz "Weihe des Frühlings"
hatte Igor Strawinsky die Option auf seine "Feuervogel"-Musik
an Disney verkauft.
Fantasia schrieb erstmalig schwarze Zahlen während
seiner ersten großen Wiederaufführung im Jahre 1956,
als Fantasound durch eine Vier-Kanal-Magnet-Tonspur ersetzt worden
war. 1969 eroberte der Film eine neue Generation von Zuschauern
und wurde populärer als je zuvor.
1977 wurde der Soundtrack unter der Leitung des Oscarprämierten
Dirigenten Irwin Kostal digital neu aufgenommen, womit der Film
ein weiteres Mal eine technische Neuleistung aufweisen konnte.
Zwölf Jahre später wurden anlässlich des 50. Jubiläums
das Film-Negativ und Leopold Stokowskis Original-Einspielung
mit modernster Digitaltechnik restauriert.
Weitere Neuerungen auf dem Gebiet der Bild- und Ton-Restaurierung
ermöglichten schließlich, dass Der Zauberlehrling
in Fantasia 2000 nun besser aussieht und frischer klingt
als je zuvor.
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