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Eine Hand voll Gras
Produktionsnotizen
[Foto: Peter Herrmann, Günter Rohrbach (Produzenten)]
Eine Hand voll Gras ist durch eine SPIEGEL-Reportage
von Ariane Barth angeregt worden. Barth schildert darin das Schicksal
von kurdischen Kindern, die, ihrer Strafmündigkeit wegen,
in Hamburg zum Dealen eingesetzt wurden. Uwe Timm ist dieser
Sache nachgegangen, hat umfänglich recherchiert, mit Polizisten,
Jugendpflegern, Asylantenbetreuern gesprochen und daraus die
Geschichte des zehnjährigen Kendal entwickelt. Sie ist nahe
an der Realität erzählt, hinzuerfunden wurde im wesentlichen
nur die Figur des Taxifahrers und Ex-Polizisten Hellkamp. So
wurde der Film auch eine Geschichte über Freundschaft.
Die Geschichte wird aus der Perspektive des Jungen Kendal erzählt.
Er ist praktisch von der ersten bis zur letzten Szene im Bild,
und allein in diesem Sachverhalt liegen schon eine Vielzahl von
logistischen Herausforderungen und organisatorischen Risiken:
Produktionen mit Kindern in der Hauptrolle sind teuer, aufwändig
und beanspruchen viel mehr Zeit als Filme, die durchgängig
mit Erwachsenen besetzt sind.
Ein dreiviertel Jahr vor Drehbeginn hatte die Produktion angefangen,
einen Hauptdarsteller zu suchen. Man tourte durch Kinder-Freizeit-Einrichtungen,
Sportvereine und versuchte, Lehrer als Berater zu gewinnen.
Es sind dann ungefähr 500 Polaroids mit Kindergesichtern
entstanden. Daraus wurde eine Auswahl getroffen, von denen ungefähr
80 bis 100 Jungs vor die Videokamera kamen. Dann erneute Auswahl,
bei der acht Jungen übrigblieben.
In Berlin sind Richter und Hermann dann auf Arman Inci (Szenenfoto)
gestoßen und beide waren sofort begeistert von ihm. Arman ist ein
äußerst aufgeweckter türkischer Junge. Deutsch ist seine zweite
Muttersprache, und für den Film hat er auch schnell das
nötige Kurdisch gelernt. Hinzu kam, dass auch die 'Chemie'
zwischen Oliver Korittke und dem Kleinen schnell stimmte, und
die beiden auch in der Zeit zwischen und nach den Vorbereitungsproben
zu einer Art cooler 'Brotherhood' fanden, was alle Beteiligten
voller Zuversicht dem ersten Drehtag entgegen sehen ließ.
Während der gesamten sieben Wochen, die in Hamburg, München
und am Ende noch in Kurdistan gedreht wurde, stellte sich Arman
als unkompliziert und engagiert heraus. "Man muss natürlich
völlig anders arbeiten, als mit 'normalen' Schauspielern",
bemerkt Roland Suso Richter. "Man muss andere Sachen geben
und er fordert auch andere Seiten eines Regisseurs: Während
man als Erwachsener immer die gesamte Geschichte im Hinterkopf
behält, hat Arman einfach Lust, den Augenblick zu spielen.
Er 'funktioniert' nur von Tag zu Tag. So wird man ständig
zu einer Gratwanderung gezwungen: seinen Überschwang nicht
zu bremsen und seine Energie trotzdem möglichst effektiv
für den gesamten Film zu binden." Und Oliver Korittke
fügt hinzu: "Man muss ihn immer wieder gewinnen. Dafür
ist es oft wichtiger, das Star Wars-Personal zu kennen und über
die Fußballbundesliga Bescheid zu wissen, als schlau daher
zu reden. Und ganz wichtig: Du darfst ihn nicht von oben herab
behandeln."
Dreharbeiten in Iran
Auszüge aus den Aufzeichnungen von Peter Herrmann:
Der Ausblick ist atemberaubend. Ein Bergpanorama, wie es faszinierender
nicht sein kann: karg, hart und doch sehr schön. Das gesamte
Team lagert auf einer Bergkuppe und wartet. Ringsum liegen alle
Berge in der Sonne, nur genau über uns taucht ein kleines
Wolkenfeld unseren Berg in Schatten. Für diese Einstellung,
die erste Einstellung des Films, wollen der Regisseur Roland
Suso Richter und der Kameramann Martin Langer unbedingt Sonne
haben und so warten wir.
Seit vier Tagen sind wir in einem kleinen kurdischen Bergdorf
in über 2000 Meter Höhe, etwa 50 Kilometer von der
irakischen Grenze entfernt. Bei einer Besprechung im Auswärtigen
Amt in Deutschland riet mir der zuständige Beamte, doch
noch Karl Mai "Durchs wilde Kurdistan" zu lesen. In
der Region, in der wir drehen wollten, hätte sich seit damals
nicht viel verändert. Ich hielt das für ein gelungenes
Bonmot, doch inzwischen habe ich Zweifel bekommen.
Die Gegend ist sehr arm, die Menschen leben überwiegend
vom Schmuggel. Die Situation zwischen den Kurden und der iranischen
Regierung ist zur Zeit ruhig, doch noch vor zwei Jahren gab es
hier in der Gegend Kämpfe zwischen Kurden und der iranischen
Armee. Viele Männer aus unserem Dorf sind im Irak, in einem
Camp der kurdischer Freischärler. Sie werden angeblich vom
CIA unterstützt, erzählt man mir.
Völlig entspannt scheint die Lage dennoch nicht zu sein,
denn irgendein iranischer Offizieller hatte uns Soldaten zu unserem
Schutz in das Dorf geschickt. Sechs Soldaten, die bei ihrer Ankunft
von den Leuten im Dorf entwaffnet und eingesperrt wurden. Auf
unsere Intervention hin wurde dann vereinbart, dass die Soldaten,
um ihr Gesicht zu wahren, nachts unsere Zelte bewachen dürften.
...
Die Wolke bleibt hartnäckig vor der Sonne stehen und wir
warten immer noch. Das Team und die Schauspieler sind erschöpft.
Die letzten Tage waren sehr anstrengend und chaotisch gewesen.
Die gestrige Einstellung - der Hubschrauber greift das Dorf an,
Soldaten springen aus den noch fliegenden Hubschrauber - hatte
nicht geklappt. Der Pilot hatte sich geweigert, tief genug über
die Häuser zu fliegen.
Oliver Korittke spielt mit dem achtjährigen Arman Inci,
unserem Kendal. Für Arman, ein echter Berliner, ist der
Dreh im Iran der Höhepunkt eines großen Abenteuers.
Da die Wolke keine Anstalten macht sich von der Sonne wegzubewegen,
fahren Roland, Martin und ich mit einem Jeep los um noch andere
Motive anzusehen. Mit dem Fahrer geraten wir in Streit über
den Weg, den er fahren soll. Plötzlich spricht er recht
gut Englisch, was hier kaum einer tut und bestätigt meinen
Verdacht, dass er von einem der iranischen Geheimdienste ist,
die natürlich wissen wollen, was wir hier eigentlich machen.
Als wir den Jeep verlassen, um zu Fuß mögliche Perspektiven
anzusehen, fährt der Mann mit Jeep einfach weg. So setzen
wir uns hin, betrachten das Bergpanorama und warten, dass man
uns wieder abholt. Nach etwa zwei Stunden sind wir wieder am
Set, der Fahrer ist erst mal verschwunden. Die Wolke ist immer
noch da, die Sonne verschwindet hinter einer Bergkette und wir
brechen ab. Wir müssen in den nächsten Tagen nochmals
herkommen.
...
Wir fahren über Schotterstraßen, die sich in Serpentinen
steil die Berge rauf- und runterwinden zu einem anderen Dorf,
das der Hubschrauber besser anfliegen kann. Gegen elf Uhr nachts
kommen wir an. Bettina Schmidt - die Ausstatterin - erwartet
uns dort schon. Sie ist krank, Durchfall, Fieber und legt sich
einfach in eines der Autos. Sie ist jetzt neben Gerhard Hegele
- dem Produktionsleiter - das zweite Teammitglied, das so krank
ist, dass sie die nächsten Tage wohl ausfallen wird.
Eine endlose Diskussion beginnt. Martin hat schon längst
die Kameras aufgebaut, einige wenige Scheinwerfer erleuchten
die Häuser, Roland hat mit den Soldaten, die aus dem Helicopter
springen werden, alles besprochen und wir warten. Unsere persischen
Teammitglieder, die hier in den kurdischen Dörfern genauso
fremd sind wie wir, verhandeln mit den Piloten und dem Hausbesitzer,
auf dessen Dach wir drehen wollen.
Die Diskussionen ziehen sich endlos hin. Siba Shakib, die eigentlich
eine deutsch-iranische Dokumentarfilmerin ist und hier für
uns die Dreharbeiten ganz maßgeblich organisiert, ist total
genervt. Aber irgendwie bekommt sie es nach Stunden hin. Mit
den Piloten ist vereinbart, dass es einen Anflug gibt - nur einen
Versuch. Roland ist skeptisch und wir vereinbaren, dass, falls
es nicht klappt, wir diese Einstellung in Deutschland nachdrehen.
Der Hubschrauber fliegt an, die Soldaten springen raus, ein
enormer Staub wirbelt auf und verleiht der Szene etwas gespenstisches,
keiner stolpert oder fällt hin, es sieht gut aus, alles
klappt. Kaum ist der Lärm des Helicopters verklungen, braust
Beifall und Jubel auf. Hinter uns auf den Dächern des Dorfes,
wie in einem Amphitheater haben sich vielleicht tausend Menschen
versammelt, klatschen und jubeln. Alle sind euphorisch, schreien
und rennen durcheinander, als wäre dies die komplizierteste
Einstellung, die je gedreht worden wäre.
Wieder in den Autos fallen alle sofort in den Schlaf. Es gibt
noch einen Aufenthalt, da der Pick-up, der das Equipment transportiert,
eine Panne hat. Ich weigere mich, das Equipment hier in den Bergen
zu lassen. Wir warten - irgendwann ist der Wagen repariert. Gegen
vier Uhr früh kommen wir in unsere Zelte. Morgen drehen
wir die Hochzeit, mit etwa dreihundert Statisten und wenn alles
klappt, den Eröffnungsschuss des Filmes auf dem Berg noch
mal. Hoffentlich ist diesmal keine Wolke vor der Sonne.
Es hat funktioniert, alles lief gut und schnell. Arman und sein
kurdischer Vater liefen über den Berg, fanden das tote Schaf.
Ebenfalls die Schlusseinstellung, wie Oliver Korittke über
den Hügel geht. Nach dem Dreh trinken wir alle Tee in dem
einzigen Café des Dorfes. Für die morgige Einstellung,
Ankunft und Abfahrt, haben wir die arabische Schrift gegen lateinische
Buchstaben ausgetauscht, denn eigentlich drehen wir ja hier Kurdistan
in der Türkei.
An der Wand des Cafés sind Holzkisten gestapelt. Munitionskisten
und, wenn ich den englischen Aufdruck richtig verstehe, Munition
für Granatwerfer. Einer unser Begleiter aus dem Dorf erzählt
mir, dass sie vor zwei Jahren, bei den Kämpfen, auf dem
Hügel, wo wir gedreht haben, eine Flakstellung eingerichtet
hatten und die Umgebung vermint war. Die Minen hätten sie
zwar später weggeräumt, aber manchmal wird ja eine
Mine vergessen ...
Vor Drehbeginn des Bildes - Hellkamp kommt ins Dorf zur Hochzeit
- muss einer von uns in die Garderobe. Die Kostümabteilung
hat ein Problem. Es geht nicht, dass Silke Sommer und Silke Faber
männliche Darsteller anziehen. Ein heikles Problem, denn
die Geschlechtertrennung im Iran ist strikt.
Alle weiblichen Teammitglieder müssen hier bei der Hitze
einen bodenlangen Mantel tragen, der den Körper verhüllt
und keine Körperformen zeigen darf, sowie ein Kopftuch,
das die Haare bedeckt - den so genannten Hedschab - tragen.
Schon als das Flugzeug über Teheran zur Landung ansetzte,
geschah etwas ungewöhnliches. Alle Frauen holten aus ihrem
Handgepäck diese Mäntel und setzten Kopftücher
auf. Aus teilweise recht attraktiven Frauen und Mädchen
im Flugzeug wurden strenge, nonnenhaft anmutende Gestalten.
Noch ist der deutsche Geschäftsmann Hofer in Teheran zum
Tode verurteilt und in Haft, da man ihn beschuldigt, eine sexuelle
Beziehung mit einer Muslimin gehabt zu haben. Wir wurden vielfach
ermahnt, keine Situationen entstehen zu lassen, die missverständlich
interpretiert werden könnten. So muss dann immer ein männliches
Teammitglied, und am besten ein Iraner, quasi als Anstandsdame
bei Kostümproben und Ankleide anwesend sein.
Wir sind seit der islamischen Revolution, also seit zwanzig
Jahren, das erste westliche Filmteam, das im Iran einen Spielfilm
dreht. Dass wir eine Drehgenehmigung erhalten haben, liegt daran,
dass das zuständige Ministerium Weserate Ershot, auf Englisch
nennt sich das - Ministery for Islamic Guidance -, eine Hochburg
der Reformer ist.
Aber es gibt viele politische Gruppierungen im Iran. Drei Geheimdienste,
die Mujahedin, die Hisbollah, die Armee, die Religiösen,
die Reformer und andere mehr, die um die Macht kämpfen.
Noch ist mein allgegenwärtiger Alptraum, dass bei der Ausreise
das Filmmaterial beschlagnahmt wird und alles umsonst war...
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