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Die Letzten Tage

Die Überlebenden

Über das Archiv der Foundation fanden die Filmemacher fünf der Überlebenden, deren Geschichten sich dafür eigneten, die ungarischen Juden zu repräsentieren und ihr Leid zu vermitteln: den Kongressabgeordneten Tom Lantos, die Künstlerin Alice Lok Cahana, die Lehrerin Renee Firestone, den Geschäftsmann Bill Basch und die Großmutter Irene Zisblatt.

"Wir hören in den Geschichten wie es in der Stadt war und wie auf dem Land," sagt Moll, "letztendlich jedoch schildern alle die gleichen schrecklichen Ereignisse. Wenn man sieht, was diese fünf Menschen durchmachen mussten, bekommt man einen neuen Blick für das eigene Leben. Wir sollten alle diese Stärke und diesen Mut besitzen, emotional und in jeder anderen Hinsicht, unser Leben erfolgreich aufzubauen. Diese Menschen haben Elend ertragen und darüber triumphiert. Ihr Leben ist wirklich vorbildlich."


Der Kongressabgeordnete

Tom Lantos


Szene Der Kongressabgeordnete Tom Lantos (Foto mit seiner Frau Annette Lantos) ist der einzige Holocaust-Überlebende, der je in den U.S.Kongress gewählt wurde. Er vertritt den zwölften Regierungsbezirk von Kalifornien, mit einem Teil von San Francisco und San Mateo.

Tom wurde am 1. Februar 1928 in Budapest geboren, als einziges Kind jüdischer Eltern aus dem gehobenen Mittelstand. Seine Familienmitglieder waren Intellektuelle: ein Onkel war Professor an der Universität in Budapest und seine Großmutter Direktorin eines Gymnasiums. Die Schulen, die er besuchte, waren in erster Linie jüdisch, aber er sah sich selbst sowohl als Ungar als auch als Jude.

In den späten Dreissiger Jahren, als die ungarische Regierung sich immer enger mit Nazi-Deutschland verbündete, wurde der Antisemitismus zunehmend offenkundig. Es wurden Gesetze und Vorschriften erlassen, die die Teilnahme der Juden am öffentlichen Leben in Ungarn einschränkten.

Lantos hat noch in lebhafter Erinnerung, wie er sich zum ersten Mal in seinem Leben eine Zeitung kaufte. Er war 10 Jahre alt und die Schlagzeilen über Hitlers Einmarsch in Wien machten ihn betroffen. "Ich spürte, dass dieser historische Moment auf das Leben der ungarischen Juden, auf meine Familie und mich, einen gewaltigen Einfluss haben würde," erinnert er sich.

Als Ungarn im März 1944 von den Deutschen besetzt wird, ist Tom erst 16 Jahre alt. Mit den deutschen Truppen kam Adolf Eichmann mit den Befehlen zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Ungarn. Bis zum Ende des Sommers waren die meisten Juden ausserhalb Budapests bereits nach Auschwitz deportiert.

In Budapest wurden Tom und andere junge Männer in Arbeitslager eingewiesen. Er kam nach Szob, etwa 40 Meilen nördlich der Hauptstadt, wo seine Arbeitseinheit zuständig war für die Wartung einer wichtigen Eisenbahnbrücke der Strecke Wien-Budapest.

Als er dabei zuschaute, wie die Bomben der Alliierten die Brücke zerstörten, hatte er gemischte Gefühle: Er verstand, dass dadurch zwar die Nazi-Kriegsmaschine aufgehalten wurde, gleichzeitig aber auch, dass er und seine Mitgefangenen die Brücke jetzt wieder würden aufbauen müssen.

Tom schaffte es, gelegentlich Kontakt zu seiner Familie herzustellen und zu einer Freundin aus der Kindheit, Annette Tillemann, die sich seit der deutschen Besetzung mit ihrer Mutter versteckt hielt. Einmal gelang es ihm, aus dem Lager zu fliehen, er wurde jedoch erwischt und schwer geschlagen. Die Umstände waren so furchtbar, dass er daran zweifelte, ob er überleben würde.

Es gab nichts zu verlieren und Tom wagte einen neuen Fluchtversuch. Diesmal schaffte er es zurück nach Budapest. Unterwegs blieb er unerkannt dank seiner blonden Haare und blauen Augen, obwohl er stets in Furcht davor lebte, seine jüdische Identität könnte entdeckt werden, sobald ihm die Nazisoldaten befehlen würden, sich auszuziehen. Er suchte Unterschlupf bei einer Tante, die in einem sicheren Wallenberghaus wohnte, in einem der Wohngebäude, die der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg angemietet hatte und die er unter diplomatischen Schutz stellen ließ.

Mit seinem "arischen" Aussehen konnte Tom sich in Budapest in Kadettenuniform frei bewegen, überbrachte einen Laib Brot oder eine Flasche Medizin - für manche die Entscheidung zwischen Leben und Tod. Er wusste, dass er in ständiger Gefahr war, als Jude entdeckt zu werden, aber da er "ohnehin nicht glaubte zu überleben, konnte er sich wenigstens nützlich machen".

Obwohl Tom Raoul Wallenberg niemals persönlich getroffen hat, war der im diplomatischen Dienst stehende schwedische Geschäftsmann ein Vorbild für ihn, ein Beispiel dafür, wie menschliches Verhalten sein sollte in diesen schrecklichen Zeiten.

Einen Monat lang, von Dezember 1944 bis Januar 1945, kämpften die Russen und die Deutschen von Haus zu Haus um die Kontrolle über Budapest. Von beiden Seiten schlugen die Granaten in der Stadt ein. Eines Morgens früh um 3 Uhr, als ein sowjetischer Soldat in das abgesicherte Haus hereinstürmte, wurde Tom befreit.

Mitte Januar zogen sich die deutschen Truppen zurück und die Sowjets besetzten Budapest. Tom suchte vergeblich nach seiner Mutter und den anderen Familienmitgliedern und wurde sich allmählich darüber klar, dass sie umgekommen waren.

Er bemühte sich, herauszufinden, was aus Annette Tillemann geworden war, der Freundin seiner Kindheit. Sie war wie Tom ein Einzelkind. Die ihm zuletzt bekannte Adresse war die von Freunden der Familie in der Schweiz. Tom wusste nicht, dass Annette und ihre Mutter es geschafft hatten, in die Schweiz zu fliehen, als die russische Armee Budapest erreichte. Das ungarische Postwesen funktionierte zwar nicht, aber Tom konnte einem Bekannten einen Brief an Annettes Freunde in der Schweiz mitgeben. Als Annette den Brief erhielt, starrte sie den Umschlag erst lange an, bevor sie ihn aufmachte. Sie wusste, es bedeutet, dass Tom überlebt hatte.

Annette hatte keine Möglichkeit, Toms Brief zu beantworten. Sie wartete ganz einfach auf den nächsten Brief, aber im Sommer und im Herbst 1945 kam nichts. Im Winter konnte Annette nicht länger abwarten. Sie packte sich Proviant ein und machte an Bord eines alten Busses 10 Tage eine anstrengende Reise zurück nach Budapest. Sie fand den Weg zu ihren Großeltern und brach zusammen, als sie erfuhr, dass ihr Vater, die Großeltern und alle Verwandten, bis auf einen, der in Budapest geblieben war, ermordet worden waren. Annette konnte Tom mitteilen, dass sie in der Wohnung ihrer Großeltern in Budapest war, und nach gut einem Jahr Trennung waren sie wieder vereint.

Im Herbst 1946 begann Tom das Studium an der Universität von Budapest, erhielt aber im Sommer 1947 ein Stipendium der Hillel Foundation, um in Amerika zu studieren. Im August 1947 kam er in New York City an, hatte kein Geld bei sich, nur eine ungarische Salami, die zu seinem Entsetzen vom amerikanischen Zoll umgehend beschlagnahmt wurde.

1950 erhielt er den Hochschulabschluss für Volkswirtschaft an der Universität von Washington in Seattle. In Kalifornien heirateten er und Annette Tillemann dann im Juni desselben Jahres. Er promovierte an der Berkeley Universität und begann in San Francisco eine Karriere im Lehrberuf, die über drei Jahrzehnte dauerte. Ausserdem arbeitete er als Unternehmensberater, hatte eine eigene öffentliche Fernsehsendung über internationale Angelegenheiten und war aktiv in der Politik.

Im November 1980 wurde Tom erstmals in den amerikanischen Kongress gewählt und vor kurzem zum zehnten Mal im Repräsentantenhaus bestätigt. Tom und Annette Lantos sind die stolzen Eltern von zwei Töchtern und haben 17 Enkelkinder.


Die Künstlerin

Alice Lok Cahana


Szene Jahrelang hat Alice Lok Cahana (Foto vor einem ihrer Kunstwerke) nach ihrer Schwester Edith geforscht. Sie schafften es, trotz unglaublicher Schwierigkeiten, während der Schrecken von Auschwitz und Bergen-Belsen zusammenzubleiben. Als sie im Frühjahr 1945 aus Bergen-Belsen befreit wurden, war Edith in einer so schlechten gesundheitlichen Verfassung, dass man sie zur Genesung ins eilig errichtete Rote-Kreuz-Krankenhaus brachte. Alice wurde in ein Vertriebenenlager geschickt.

Jahrzehntelang hatte Alice vergeblich Nachforschungen über das Schicksal ihrer Schwester angestellt und vermutete schließlich, dass sie den Mädchennamen der Mutter angenommen haben könnte. Wie sich herausstellte, war das der Fall. Alice erhielt offizielle Benachrichtigung aus Bergen-Belsen über das Schicksal ihrer Schwester am Tag bevor die Shoah Foundation Kontakt mit ihr aufnahm wegen Die Letzten Tage. Und ihre schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt: Ihre geliebte Schwester war nur wenige Tage nach der Befreiung im Lagerkrankenhaus gestorben.

Ihrer Schwester zuliebe war Alice damit einverstanden, bei Die Letzten Tage mitzuwirken und erlaubte den Dokumentaristen, bei einer Gebetsfeier dabeizusein, die sie mit ihrem Ehemann, ihren Kindern und Enkeln an der neuentdeckten Grabstelle in Bergen-Belsen hielt.

Alice wurde am 7. Februar 1929 in Budapest geboren. Als junges Mädchen hatte sie durch ihre Familie Kontakt zu jüdischen Flüchtlingen und hörte von ihnen von schrecklicher Gewalt und Antisemitismus in Polen und in der Tschechoslowakei. Alice Vater versicherte ihr, dass die ungarischen Juden nicht das gleiche Schicksal erleiden würden.

Szene (Foto: Alice Lok Cahana mit ihrer Familie am Grab ihrer Schwester im ehemaligen KZ Bergen-Belsen)

Aber nachdem 1944 die Deutschen Ungarn besetzten, wurde die Cahana Familie gezwungen, ins Sárvár Getto zu ziehen. Alice war damals 15 und ihre Schwester Edith 17 Jahre alt. Sie verbrachten die Tage mit den anderen Kindern im nahegelegenen Garten der Synagoge. Dort konnten sie Lieder singen, Geschichten lesen und spielen.

Bald jedoch schon wurden Alice und ihre Familie in eine Ziegelfabrik und ihr Vater von dort in ein Arbeitslager gebracht. Als sie ihn zuletzt sah, gab er ihr den Rat: "Vergiss nicht, wer du bist! Und flieh!"

In der Ziegelfabrik wurden Alice, ihre Mutter, die Schwester und zwei kleine Brüder, zusammen mit Onkeln, Tanten und ihrem Großvater - Haupt der jüdischen Gemeinde - in Viehwaggons gepfercht und nach Auschwitz gebracht. Dort wurde ihre Familie aufgeteilt, ihre Mutter, die Brüder und der Großvater gleich ins Krematorium geschickt.

Kinder unter 15 sollten aus der Reihe hervortreten. Alice wollte bei ihrer Schwester bleiben, aber Edith fand, sie sei bei den Kindern besser aufgehoben. Alice trat vor, sie wurde abgefertigt, bekam den Kopf geschoren und dann brachte man sie zusammen mit Kindern und Schwangeren in Block 12 im Lager C.

Es gab keine Kommunikation der Lager untereinander, aber Alice konnte herausfinden, wo Edith sich befand. Alice tauschte etwas Brot gegen ein Stück Papier. "Komm ins Lager C" schrieb sie auf den Zettel, gab als Adresse Ediths Namen an und den ihrer Heimatstadt und vertraute ihn einer Frau an, die das Essen austeilte.

Es gab 32.000 Menschen im Lager, trotzdem erreichte Edith die Nachricht. Einige Tage später tauschte Edith ihren Platz mit einer anderen Frau, die Essen verteilte. Und die Schwestern waren wieder vereint.

Ediths Gesundheitszustand begann sich zu verschlechtern und sie wurde ins KZ-Krankenhaus gebracht. Jeden Morgen früh vor dem Anpfiff schlich sich Alice weg, um ihre Schwester zu besuchen. Unter der Bedingung, dass sie mithalf, die Leichen herauszutragen, wurde sie vom Wachposten ins Krankenhaus hereingelassen. Nach ein paar Tagen kam Edith wieder zu Kräften. Alice fürchtete, sie könnte wie die meisten anderen Insassen ins Krematorium gebracht werden und schaffte sie mit den Leichen heraus. Gemeinsam gingen sie zurück zu ihren Baracken.

Bald darauf wurden täglich 'Selektionen' durchgeführt. Unter dem Vorwand, sie sollten warme Kleider erhalten, wurden Alice und andere Kinder ausgesondert. Alice versprach, Edith zum Geburtstag warme Winterkleider zu besorgen. Sie wurden in ein Gebäude gebracht und die Kinder sollten ihre Kleider ausziehen. Sie wurden in einen großen dunklen Raum getrieben und standen nackt da. Endlich öffnete sich die Tür und eine SS Frau schickte sie eilig zurück zu ihren Blöcken. Als sich Alice darüber beschwerte, dass sie keine warmen Kleider bekommen hatte, wurde ihr zu verstehen gegeben, sie könne froh sein, vom Krematorium zurückzukehren. Später erfuhr sie, dass es nur diesen einen Störfall im Krematorium gab.

Kurz darauf wurden die Schwestern in eine Munitionsfabrik der I.G. Farben in Guben geschickt.

Als sich im Januar 1945 die Alliierten der Stadt näherten, wurden die Fabrikarbeiter auf einen Todesmarsch geschickt. Nachdem sie den ganzen Tag gelaufen waren, schliefen sie gewöhnlich in Scheunen, wo man ihnen Suppe oder schwarzen Kaffee austeilte. Einige hielten nicht durch und wurden erschossen.

Als Edith eines Tages nicht mehr konnte, machte Alice den Vorschlag, wegzulaufen. Als sie in dieser Nacht in die Scheune getrieben wurden, fanden sie zu dritt mit noch einem Freund im Heu genug Platz für ein Versteck. Am nächsten Morgen wurden beim Abzählen drei in der Gruppe vermisst, aber die Wachen konnten sie nicht finden.

Die anderen marschierten weiter, und Alice, ihre Schwester und der Freund blieben noch zwei Tage in ihrem Versteck. Als sie allein waren, erzählten sich die drei Bibelgeschichten von Wundern und sangen Lieder. Eine Gruppe Italiener, die in der Scheune arbeitete, versprach ihnen zu helfen, einen Unterschlupf im Wald zu finden. Ihre Freiheit war aber nur von kurzer Dauer. Ein paar Tage später wurden sie entdeckt.

Die drei mussten in einen Viehwaggon steigen, der nach Bergen-Belsen unterwegs war. Alice beschreibt es als "Hölle auf Erden. Die Leute bettelten um Essen und um Wasser. Überall lagen Leichen, sie blieben da liegen, wo sie hingefallen waren." Als die Befreiung kam, war Alice sehr schwach und konnte kaum verstehen, dass sie jetzt frei war.

Der gesundheitliche Zustand ihrer Schwester hatte sich gefährlich verschlechtert und sie bat Alice darum, sie ins Rote-Kreuz-Krankenhaus zu bringen. Die Alliierten wollten Ordnung im Chaos des Lagers schaffen und erlaubten Alice nicht, bei ihrer Schwester zu bleiben, sondern schickten sie in ein Vertriebenenlager. Sie sollte Edith nicht wiedersehen.

In Schweden erholte sie sich und emigrierte dann nach Israel, heiratete und ließ sich schließlich in Houston, Texas, nieder. Sie hat eine Familie, hat drei Kinder großgezogen, zwei Söhne, die beide jetzt Rabbis sind, und eine Tochter. Sie erklärt: "Während des Holocaust habe ich den Vorsatz gefasst, dass, sollte ich am Leben bleiben, ich eine Familie gründen werde, die keinen Hass kennt, die das Leben feiert und versteht, wie wertvoll alles menschliche Dasein ist."

Ausserdem hat sich Alice der Kunst zugewandt, um ihr Holocausterlebnis auf diese Weise ausdrücken zu können. Ihre Werke fanden internationale Anerkennung. Eines davon ist im Holocaustmuseum Yad Vashem in Jerusalem ausgestellt.




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