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Vernascht!


Brunftschreie und Paarungstänze des urbanen Männchens

Poster Eines wusste Drehbuchautor und Regisseur Peter M. Cohen von Anfang an: Es würde zähe, beinharte Recherche erforden, die New Yorker Single-Szene so zu zeigen, wie sie wirklich ist. Klar, für die meisten Autoren ist Recherche ein Schimpfwort. Aber Peter M. Cohen ist eben anders als die meisten Autoren - er wollte absolute Authentizität und war bereit, dafür bis an die Grenzen zu gehen. Auch an seine eigenen. Oder an die des guten Geschmacks.

Ohne Rücksicht auf seine Gesundheit oder seine Würde verbrachte er unzählige Stunden in Bars und ranzigen Imbissbuden, um mit seinen Freunden über Sex zu reden. Zugegeben, das war genau das, was er auch sonst tat. Aber diesmal konnte er es von der Steuer absetzen! Und er bekam dafür die wasserdichte Recherche, die er für Vernascht! brauchte. Mehr noch: Langsam entwickelte sich die halb autobiografische Geschichte einer Männerfreundschaft, die eine soziologisch dringend benötigte Bestandsaufnahme des stets aktuellen Geschlechterkampfs liefert.

Zeiten ändern sich, Frisuren ändern sich, Rezepte für Eintopf ändern sich, auch das menschliche Paarungsverhalten ändert sich. Vorbei sind die Tage, in denen Frauen vor allem zurückhaltend und liebreizend sein mussten. Das Balzverhalten folgt heute ganz anderen Regeln.

"Vernascht! dreht sich um typische Erlebnisse von Singles", doziert Cohen, der seine Dialoge nach der Feldforschungsmethode (Hinhören, was Freunde und Freundinnen so erzählen) schuf. Wobei ihn der Frauentalk mitunter heftig schockierte, wie er zugibt:

"Als Mann wusste ich natürlich, wie Männer reden, aber wie die meisten meiner Geschlechtsgenossen hatte ich keine Ahnung, daß Frauen das auch tun. Ich versuchte mich damit zu trösten, daß sie ja nicht über mich redeten. Aber man weiß ja nie, vielleicht tut das ja auch die eine oder andere". Diese überraschende Erkenntnis bescherte Cohen immerhin die Hoffnung, das Vernascht! auf zwei Ebenen funktionierten könnte: Auf der offensichtlichen Spaßebene und auf einer tiefergehenden Ebene, die eine gesellschaftlich relevante Botschaft verkündet. Die Botschaft nämlich, daß Frauen heute gar nicht so anders als Männer sind.

Aufreißende Mädel

"Mädels können genauso aufreißen", findet auch Amanda Peet, die die hippe Femme Fatale Mia spielt. "Frauen sind allerdings schlauer und weniger offensichtlich in ihrem Verhalten. Weswegen wir ja auch meistens die Oberhand haben."

Cohen lernte Peet durch einen gemeinsamen Freund kennen und konnte die Schauspielerin, die eigentlich dem Independent-Film abgeschworen hatte, sofort für die Rolle begeistern. Kein Wunder: sie erforderte nicht nur ein gutes Aussehen, sondern vor allem das gewisse Etwas! Und an beidem mangelt es Amanda Peet nicht.

"Ich fand die Rolle klasse, weil Mia eine Frau ist, die dasselbe Spiel wie die Männer spielt. Obwohl sie ihre Würde behält, während die Kerle ihre Beute verlieren", begeistert sie sich. "Mia ist ein modernes Mädchen, sie plaziert ihre Trümpfe mit einem grandiosen Pokerface."

Autobiografische Freunde

Was die Jungs in seinem Film angeht, kann Cohen autobiografische Ähnlichkeiten nicht verhehlen: "In jedem gibt es Züge von mir oder von meinen Freunden. Jeder, der in New York lebt, kennt jemanden wie Brad. So kann man sich auch super mit den Hauptfiguren identifizieren. Fast jeder kann sagen, klaro, so einen kenne ich." Es ist kein Zufall, daß Cohens Helden Brad, Zeke und Jonathan in Cohens drei besten Freunden lebende Vorbilder haben und auch selbst von ihnen gespielt werden.

Zorie Barber, der Zeke spielt, kennt Cohen seit der siebten Klasse und ist seitdem sein bester Freund. "Vernascht! ist ein Naturfilm, man könnte den Film auch 'Brunftschreie und Paarungstänze des urbanen Männchens' nennen", grinst Barber. "Vögel unterscheiden sich auch nur im Gefieder - und so sind die drei Hauptfiguren auch sehr verschieden. Aber sie vereint ihre Loyalität ihren animalischen Trieben gegenüber. Das macht den Film schnell und witzig und offenbart ganz nebenbei eine ganze Menge über unsere Kultur."

Kein Geld

Cohen kehrte nach seinem erfolgreichen Abschluß des USC's Graduate Cinema Program nach New York zurück, um einen aufreibenden Job als Werbefilmproduzent für J. Walter Thompson anzutreten. Also schrieb er sich am Feierabend und an den Wochenenden die Finger an seinem Drehbuch wund.

Allerdings nur um nach seiner Fertigstellung frustriert festzustellen, daß die Welt nicht auf seinen Erguß gewartet hatte. Kein Mensch wollte das Teil auch nur lesen, geschweige denn finanzieren. Was Cohen schnell klar machte, daß er seinen Film selbst produzieren mußte. Besonders, wenn er ihn später so auf der Leinwand sehen wollte, wie er ihn geschrieben hatte!

Der Film ist eine Single-Satire", erklärt Cohen. "Mir ging es um Erlebnisse, die viele Menschen so gemacht haben und worüber sie sprechen." Weil er selbst einer dieser Menschen war, hatte Cohen eine äußerst klare Vorstellung, wie er seine Geschichte in die Filmsprache übersetzen wollte. "Da draußen gibt es jede Menge Frauen wie Mia, die genauso viele Kerle abschleppen wie Männer Mädchen und dieses ewige mit Zweierlei-Maß-Gemesse ist völlig überholt!"

Vernascht! wurde vor dem Erfolg der HBO-Hitserie Sex and the City geschrieben, aber der Film "seziert auf sehr ähnliche Weise verborgene Wahrheiten über Sex und moderne Beziehungen", stellt Cohen fest. "Die Frauen in dieser Serie bekommen zwar von den Männer durchaus Demütigungen, aber sie schenken umgekehrt genauso kräftig ein. Eben wie im richtigen Leben." Cohen hofft, daß der Erfolg der Serie zumindest in Amerika seinem Film "den Weg geebnet hat".

Grenzen des guten Geschmacks

Der Humor von Vernascht! wurde bis in Grenzbereiche von konventionell gutem Geschmack ausgereizt: over the top, wie der Regisseur verrät. Ein dramaturgisches Konzept, das sich besonders an der Figur des verheirateten Eric zeigen läßt. Eric ist auf quälende Weise pathetisch, was in köstlichem Kontrast zu der ultralässigen Single-Attitüde seiner ledigen Freunde steht.

"Diese Jungs halten sich für Gottesgeschenke und haben nur Sex im Kopf. Sie sind total fies zu ihrem verheirateten Freund", kommentiert Cohen. Ironischerweise taucht dann Mia, die "Traumfrau", auf, und die Männer fangen selber an, über eine ernsthafte Beziehung nachzudenken. Mias Anwesenheit löst ihre Hoppla-Jetzt-Komm-Ich-Coolness in Luft auf. Und plötzlich fangen sie an, Sehnsucht nach einem völlig neuen Leben zu haben.

"Sie fangen an zu kapieren, daß es bei Frauen um mehr als um Sex geht", sagt Judah Domke, der den Pantoffelhelden spielt. "Das setzt bei jedem Mann ein, wenn er ein gewisses Alter erreicht und dann die Frau trifft, nach der er gesucht hat. In diesem Moment wird aus einem Jungen ein Mann." Eine Veränderung, mit der sich unsere drei Solotänzer heftigst herumschlagen, als Mia sich in ihr Liebesleben mischt. Zwei weitere unangenehme Konsequenzen lassen sich auch nicht mehr verbergen:

1. untergräbt die Liebe zu Mia die männlichen Egos und
2. geht auch ihre Musketier-Männerfreundschaft flugs den Bach herunter.

Ihr Anti-Frauenversteher-Motto "Kumpels vor Mädels" hat seine Wirkung verloren. "Ihre Loyalität war ein Lippenbekenntnis, das sich kaum als Ticket eignete, mit dem Geschlechtergrenzen überschritten werden konnten", sagt Barber. "Als sie Mia kennenlernen geht es um die Wurst." Und ganz schnell sind die Tage vorbei, in denen das Trio gemütlich "den Plan" diskutierte.

Auf eigene Verantwortung

Obwohl Cohen von allen Seiten gewarnt wurde, entschloss er sich, den Film zu machen. Notfalls eben auf eigene Verantwortung. Dazu brauchte er vor allem Geld. Und er bekam es auch. Indem er mit ein wenig Rechtsbeistand ein beeindruckendes Investment-Paket vorbereitete und dann von seiner Familie bis zu den alten College-Freunden ("Die meisten waren sowieso Wall Street Broker geworden") jeden anbettelte, den er kannte.

Im Grunde genommen wurden so jede Menge "Wall-Street-Anzüge", über die er in seinem Drehbuch herzog, seine Investoren. Kaum hatte er ein Minimum seines Budgets zusammen, begann Cohen mit den Dreharbeiten.

Dreharbeiten

"Ohne Peters Schlauheit und seine Motivation hätten wir den Film niemals in so kurzer Zeit abdrehen können", erzählt Peet. "Aber er hatte seine ganz bestimmte Vision." Mit Hilfe dieser Hyper-Energie, einer talentierten Crew und einem mit Sicherheit innovativen Timing wurde der Film in nur 15 Tagen abgedreht, drei weitere Tage wurden für Pick-Up-Nachdrehs angehängt.

"Natürlich mussten wir an allen Ecken und Enden sparen, also mietete ich ein leeres Loft in SoHo für einen Monat und drehte dort alle Apartment-Innenaufnahmen", erzählt Cohen. Für 2500 Dollar hatte die Produktion den Platz, fünf verschiedene Räume auszustatten und dort zu drehen. Während dieser einwöchigen Vorbereitungszeit drehte Cohen bestimmte Szenen on location, die Innenaufnahmen folgten in der zweiten Woche.

Im Loft gab es sechs bewegliche Wände. Das ermöglichte dem Team, eine Schlafzimmerszene zu drehen, während nebenan ein anderes Schlafzimmer gebaut und gestrichen wurde. "Wir zogen von einem Zimmer ins nächste und benutzten immer dasselbe Bett", sagt Cohen. "In der dritten Woche drehten wir im Diner, während die Requisite das Loft sauber machte."

Cohens spezielle Organisation sorgte zwar dafür, daß die Produktion überhaupt losging, aber sie erforderte von jedem Teammitglied das größtmögliche Maß an Flexibilität. Beispielsweise war am ersten Tag gerade eine Masterszene im Kasten, die sie im Madison Park gedreht hatten, als sie darauf hingewiesen wurden, daß ihre Dreherlaubnis nur für die Außenansicht des Parks gültig war! Auf so etwas hätte Cohen natürlich gerne, besonders am ersten Drehtag, verzichtet. Aber das Drehen eines Independent-Films ist eben auch immer ein bißchen Abenteuer! Alle übrigen Parkszenen wurden im Battery Park gedreht.

Etwas ähnliches ereignete sich, nachdem Cohen einen Buchladen als Location klar gemacht hatte: In buchstäblich letzter Minute überlegte es sich der Buchhändler anders und Cohen mußte seine Planung umschmeißen, hektisch nach einem neuen Drehort suchen und schließlich in seinem Stamm-Zeitungsladen drehen.

"Oft haben wir erst am Drehort gesehen, wie wir etwas machen konnten", erinnert sich Cohen. "Einmal drehten wir zum Beispiel eine Szene in Amandas Hauseingang, weil wir an diesem Tag nicht im Washington Square Park drehten konnten. Wir mußten uns immer darauf eingestellt sein, etwas umzuschreiben und ganz anders als geplant zu drehen."

So war die Kombination von Produktion und der Koordination vieler unvorhersehbarer Kleinigkeiten die größte Herausforderung für den hoffnungsvollen Nachwuchsfilmemacher. Während er Regie führte, hielt er sein Produktionskalkulator gleichzeitig angeschaltet, das die Kosten für den Drehtag und die Gehälter der Crew ausrechnete.

Finanzielle Zwänge

"Es gibt schönere Dinge, als an einem Drehort zu stehen und zu wissen, daß man hier nur sechs Stunden Zeit hat, oder es riskiert, 1000 Dollar draufzulegen. Als Regisseur wollte ich natürlich alle Seiten des Drehbuchs verfilmen, als Produzent kamen mir gleichzeitig Zweifel an der Fähigkeit von Schauspielern, die noch niemals eine Filmrolle übernommen hatten. Hatten wir wirklich die Chance, die Szene in sechs Stunden fertig zu kriegen? Also ging ich immer wieder durch das Drehbuch und schmiß Szenen raus, um Zeit zu sparen", erinnert sich Cohen an diese Zeit.

Wie stark finanzielle Zwänge das kreative Schaffen eines Filmemachers bestimmen, verstand Cohen in der Szene, in der die Frauen sich zum Brunch treffen. Drehort war ein Coffee Shop in Downtown Manhattan. Kurz bevor es losgehen sollte, ließ der Besitzer durchblicken, daß er seinen Laden nur die Hälfte der verabredeten Zeit zur Verfügung stellen würde, wenn nicht die vereinbarte Platzmiete drastisch erhöht wurde.

Cohen biß die Zähne zusammen und peitschte die Szene in einem Affentempo durch. Im fertigen Film merkt das kein Mensch, denn die Kneipe hatte sich per Requisite in einen schicken, Uptown-Hangout verwandelt und die Schauspielerinnen waren auch in der Hälfte der Zeit einfach spitze.

Wo Cohen allerdings nicht sparte, waren die Gehälter seiner Mitarbeiter. Abgesehen davon, daß man heutzutage kaum noch Idealisten trifft, die ohne Geld arbeiten, wollte er Qualitätsarbeit. Und besorgte sich auch auf Umwegen Material und Geld. So konnte sein Kameramann Peter Kowalski, den Cohen von der USC kannte, kostenlos eine komplette Ausrüstung von Panavision benutzen. "Daran habe ich ein Jahr gearbeitet", sagt Cohen, der seinen Drehplan von der Bereitstellung dieses Equipments und der Zeit von Kowalski abhängig machte.

Cohen beschäftigte außerdem seine Schwester als kostengünstiges Scriptgirl, obwohl sie sich erst einarbeiten musste. "Meine Schwester fühlte sich nicht gerade wohl", erinnert sich Cohen. "Aber mir war klar, daß sie die einzige war, die ihren Mund aufmachen würde, wenn etwas schief lief. Außerdem war sie die einzige, die ich mal anschreien konnte."




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