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Blow
Johnny Depp
als George Jung
"Er hat ein Gesicht, das die Existenz des Kinos rechtfertigt",
schrieb die sonst nicht fürs Schwärmen bekannte New
York Times über Johnny Depps Leistung in Blow,
die nicht einmal von den denkwürdigen Frisuren und Outfits
der Ära geschmälert werden kann.
Mit einer in seiner Altersklasse einzigartigen Würde und
Weltenweisheit erweckt er die durchaus zwiespältige Figur
des Großdealers George Jung zum Leben, der in den Siebzigern
als erster Amerikaner mit den kolumbianischen Kartellen kollaborierte
und den Rohstoff Kokain fast in Eigenregie nach Amerika brachte.
Doch weder die Story von Blow noch Depps behutsame Interpretation
der Rolle sind auf Verurteilung oder Glorifizierung dieser Geschäfte
aus - vielmehr ist Depp oft die Ruhe im Zentrum des Rausches,
arbeitet eine zutiefst humane Persönlichkeit heraus und
könnte unter anderen Umständen ein grandioser Träumer
sein. Statt dessen gerät sein freigeistiges Leben ohne Regeln
zum Alptraum und er wird nahezu alles verlieren, was ihm je von
Bedeutung war...
Über seine Arbeit an Blow sagt Depp: "Auf
gewisse Weise erinnerte mich George an mich selbst, als ich jung
war und mit der Schauspielerei begann. Ich wollte das nicht zu
meinem Lebensinhalt machen, doch auf einmal verdiente ich obszön
viel Geld, wurde von der Unterhaltungsmaschinerie mitgerissen
und zunächst mal wusste ich gar nicht, wie das zu stoppen
sein könnte. Und ich schätze, George erging es ähnlich.
Wenn man ihn nach seinen Anfangstagen fragt, dann hat er als
junger Mann schlichtweg eine Geschäftsgelegenheit wahrgenommen.
Drogen waren wie Fastfood oder Softdrinks neue Produkte, die
er auf den Markt brachte.
Auf südamerikanischer Seite wurde der Handel sogar von hochrangigen
Politikern gefördert - was kein Entschuldigung sein soll.
Natürlich realisiert George heute, dass er sehr schwere
Verbrechen begangen hat, aber damals stürzte er sich lediglich
in eine viel versprechende Zukunft. Und auf jeden Fall empfinde
ich viel Verantwortung für den Mann, denn er steckt ohne
Aussicht auf baldige Bewährung in einer Zelle, während
wir sein Leben ins Kino bringen. Sehr viel Zeit konnte ich zwangsläufig
nicht mit ihm verbringen, aber eines Tages spürte ich in
seiner Gegenwart, wie die Rolle bei mir klickte. Es ist ein wahnsinniger
spannender Moment, wenn man fühlt, dass man sich bewegen
und so reden und vielleicht sogar denken kann wie ein anderer
Mensch."
John Christopher Depp II. kam am 9. Juni 1963 in Owensbury, Kentucky,
zur Welt und spielte in über fünfzehn Rockbands - etwa
als Opener von Iggy Pop -, bevor er sich bei einem Besuch in
LA auf Anraten von Nicolas Cage entschloss, Schauspieler zu werden.
Nach seinem Debüt in Wes Cravens Original-Nightmare,
wo er im Prinzip von einem Bett aufgefressen wird, sowie weiteren
Kleinstrollen etwa als Übersetzer in Platoon, nahm
Depp 1987 ein TV-Angebot wahr und spielte unter großer
Anteilnahme amerikanischer Mädchen kreischfähigen Alters
für vier Jahre den Undercover-Räuberjäger Tom
Hanson in der Serie "21 Jump Steet". Natürlich
hasste er jede Minute und suchte seine Zukunft nach Vertragsablauf
im Filmgeschäft - und bei Regisseuren mit ziemlich singulären
Visionen.
Zunächst war es John Waters mit seinem Blick hinter gesellschaftliche
Fassaden, der Depps Talent erkannte und dessen Herzensbrecher-Image
er in Cry Baby köstlich karikierte. Doch erst in
Tim Burton fand der US-Schauspieler einen Gleichgesinnten, einen
weiteren Outcast mitten im saturierten System, mit dem er seine
zwei anrührendsten Filme drehen und jeweils für einen
Golden Globe nominiert werden sollte - das moderne Märchen
Edward mit den Scherenhänden und brillante Biopic
Ed Wood. Zuletzt kooperierten die beiden weiterhin nach
einem Skript Andrew Kevin Walkers beim gotischen Horrorfilm Sleepy
Hollow, ohne zwischen Giggeln und Gruseln einen Unterschied
zu machen.
War es freilich in Cry Baby sein Zugriff auf Elvis-Manierismen,
der Depp Charisma verlieh, so ließ er sich für Benny
& Joon von Buster Keaton und Charles Chaplin inspirieren,
bevor er mit Arizona Dream, Gilbert Grape (dritte
Globe-Nominierung) und Dead Man eine Reihe zunehmend
ernster, spiritueller Filme über die Einsamkeit drehte.
1995 feierte Johnny neben seinem Idol Marlon Brando einen Überraschungshit
mit Don Juan De Marco und war als der Welt größter
Verführer adäquat besetzt. Doch im Anschluss ging ein
Kommerzvehikel wie Nick Of Time ebenso nach hinten los
wie sein in der Produktion außer Kontrolle geratenes Regiedebüt
The Brave, dessen Drehbuch er zusammen mit Bruder D.P.
Depp geschrieben hatte.
The Brave hatte durchaus Potential, eine Meditation
über den Tod zu werden, doch nach Vorführung einer
zähen Schnittfassung in Cannes wurde der Film gemeuchelt
und ward nie mehr im Kino gesehen - nicht mal auf Video ist das
Wüstenwerk auf Depps Anweisung in den USA zu erhalten, in
Deutschland schon.
Aber gleich nach dem Fall der dramaturgische Höhenflug:
In Donnie Brasco gab er im Zusammenspiel mit Al "Fuhgeddaboutit"
Pacino die bislang reifste Vorstellung seiner Karriere ab, bevor
er als Hunter S. Thompson in Fear and Loathing in Las Vegas
einmal mehr seinem Hang zu Untergrundkultur und Indiekino im
großem Stil Ausdruck verlieh.
Es folgten mit The Ninth Gate und The Astronaut's
Wife zwei uninspirierte Genrestoffe, in denen Depp deutlich
unter seinen Möglichkeiten blieb, bevor er mit Sleepy
Hollow sowie in einer hinreißenden Doppelrolle als
Beamter und als Transvestit in dem Biopic Before Night Falls.
Auch für Blow erhielt er einige der besten Kritiken
seiner Karriere - was sich schon im Herbst fortsetzen dürfte,
wenn er in From Hell zu sehen sein wird, einer Lesart
der Jack the Ripper-Geschichte nach dem Kult-Comic von Alan Moore.
Ob indes das von Terry Gilliam im vergangenen Herbst zur Hälfte
abgedrehte Don Quichote-Projekt je vollendet werden
kann, nachdem Depps Co-Star den Set in Spanien erkrankt verlassen
muss, steht leider in den Sternen.
Depp lebt mit der französischen Sängerin Vanessa Paradis
und der gemeinsamen Tochter Liliy-Rose in Paris und Los Angeles.
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