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Quills - Macht der Besessenheit
Nicht für Kinder jeden Alters
von Philip Kaufman
Ich musste erst einmal in Ruhe Luft holen, nachdem ich eine
frühe Drehbuchfassung von Doug Wrights Quills gelesen
hatte. Gluckser, Schreie, Gelächter und Schläge hallten
noch in meinem Kopf nach. Ich fühlte mich merkwürdig
bewegt von einem um Dougs Worte zu benutzen "Gefühl
irgendwo zwischen Scham und Hochgefühl".
Aber warum sollte man diesen Stoff verfilmen? Welche Relevanz
könnte diese Geschichte aus der Vergangenheit in unserer
Gegenwart haben? Am schwersten wog jedoch die Frage, warum man
ausgerechnet ein Monstrum wie den Marquis de Sade in den Mittelpunkt
eines Films stellen sollte.
Ich dachte an etwas, das mein alter Freund Nelson Algren, der
Autor von "Der Mann mit dem goldenen Arm", zu sagen
pflegte:
"Wann immer man einen Menschen aus der Welt ausschließt,
wird er sich, ob man will oder nicht, eine eigene bauen"
Und er fügte hinzu: "Für uns gehen Hässlichkeit
und Schönheit, das Groteske und das Tragische, ja selbst
Gut und Böse getrennte Wege: Amerikaner wollen nicht daran
glauben, dass sich diese Extreme vermischen könnten."
Und Algrens Freundin Simone De Beauvoir beobachtete in "Sollen
wir Sade verbrennen?":
"De Sade musste die Folgen von Selbstsucht, Ungerechtigkeit
und Elend bis zur bitteren Neige auskosten und er bestand auf
der Wahrheit dieses Geschehens. Die stärkste Kraft seines
Zeugnisses liegt in seiner aktuellen Fähigkeit uns zu stören,
zu verstören. Er zwingt uns, uns dem Grundproblem unserer
Zeit immer wieder ernsthaft zu stellen, in welcher Form auch
immer es auftritt: der wahren Beziehung zwischen Mensch und Mensch."
Dazu kommt, was der Nobelpreisträger, Poet und Essayist
Octavio Paz in "Eine Erotik jenseits von Sade" zu sagen
hatte:
"Sein Leben ist nicht weniger außergewöhnlich
als sein Werk. Wegen seiner Ideen verbrachte er viele Jahre in
Gefangenschaft. In intellektuellen Fragen war er unabhängig
und unkorrumpierbar. Und er war großzügig zu seinen
Feinden und Verfolgern. Der Philosoph des Sadismus war niemand,
der andere peinigte oder schikanierte, sondern wurde gepeinigt
und schikaniert. Der Theoretiker der Grausamkeit war ein warmherziger
Mann."
Dies sind nicht unbedingt Worte, die auf den wütenden,
unbezähmbaren Marquis, wie ihn Doug Wright gezeichnet hat,
zutreffen würden. Doch hinter seiner Wut war er, wie Paz
ihn beschrieben hat: ein Rätsel. Und Doug hat sich dieses
Rätsels bemächtigt, um "das wahre Verhältnis
von Mensch zu Mensch" ebenso zu untersuchen wie er die Grenzen
der Meinungsfreiheit auslotete.
Der große Filmemacher Luis Buñuel war es, der es
in "Mein letzter Seufzer" so einfach formulierte:
"De Sades Ideen haben mich auf vielfältige Weise beeinflusst...
(Ein Kritiker) schrieb einst in einer vernichtenden Kritik, dass
sich Sade in seinem Grab umdrehen würde, wenn er wüsste,
was ich mit seinen Ideen angestellt habe. Meine einzige Antwort
war, dass es nicht meine Absicht gewesen sei, einem toten Schriftsteller
ein Denkmal zu setzen.
Ich wollte lediglich einen Film machen."
Ja, Maestro. Aber wie wäre dieser Film zu gestalten, wie
ein Bühnenstück in Film umsetzen, wie die Kamera so
führen so dass fortwährend enthüllt wird, während
Voyeure und Klatschbasen sich umschleichen und einander ausspionieren
in stillen Ecken und Winkeln sich verbergen? Wie die Einstellungen
finden, die so raffiniert sind, dass sie unterhaltsam in einem
und erschreckend im nächsten Moment sind?
Wie sollte man die Farben, Töne und Schattierungen für
die Bauten und Kostüme entwerfen und fotografieren, so dass
sie die Vergangenheit evozieren, aber in der Gegenwart provozierend
wirken? Wie sollte man die zerbrechliche Schönheit innerhalb
der tristen Anstaltswände entstehen lassen? Und wie den
Wandel darstellen, der aus den Kämpfen zwischen der ungesunden
Expression des Marquis und der ihm entgegen gestellten ungesunden
Repression, die aus der heilen Irrenhauswelt eine unheilige macht,
resultiert?
Wie einen Film machen so wie die Geschichten voller Spott und
Hohn, die der Marquis selbst erzählte, um die Heuchler herauszufordern.
So geschmackvoll und so heikel, so gefällig und auch mit
so geschmacklosem Gothic Horror nach Art des Schauerromans und
den extremen Formen des Grand Guignol.
Und dann noch die wichtigste aller Fragen: Wie sollte man Schauspieler
finden, die in die historischen Schauplätze passen, sich
mit der Sadeschen/Wrightschen Sprache zurecht finden, keine Angst
davor haben, unschuldig und gleichzeitig schuldig, unkorrumpierbar
und doch korrumpierbar und korrupt zu sein. Schauspieler, die
keine Angst vor körperlicher und emotionaler Nacktheit haben
durften. Mit anderen die Worten: Die mutigsten Schauspieler waren
gefragt.
Es stellte sich heraus, dass mir noch keine Arbeit an einem
Film leichter fiel. Meine Mitstreiter, beginnend mit Doug über
das Casting und all die Schauspieler bis zu den Designern, Kameraleuten,
Cuttern, Musikern und Toningenieuren, waren unermüdlich,
präzise und ausgesprochen humorvoll. Während der gesamten
Produktion erschienen wir mit unbändiger Vorfreude am Set,
umarmten einander und begannen hitzige, emotionale, philosophische
und herrlich alberne Dialoge. Wir arbeiteten wie besessen und
kehrten am Abend gesättigt zurück nach Hause. Der Marquis,
sagten wir uns, hätte es geliebt. Hoffentlich hat unsere
Liebe an der Arbeit ihren Weg auf die Leinwand gefunden.
Ich möchte mich entschuldigen bei denjenigen, die die definitive
Filmbiographie über eine mörderische Bestie erwarten,
sowie bei Freunden der Rachsucht oder jenen, die auf erhebende
religiöse Traktate bestehen. Tiefste Verzeihung erbitte
ich mir auch von den unheilbar Verdorbenen und den Liebhabern
des totalen Sado-Maso-Erlebnisses, sollten sie glauben, wir hätten
seinen Namen nicht ausreichend geehrt. Vergebt uns unsere Blasphemie.
Es war nicht unsere Absicht, einem toten Schriftsteller ein
Denkmal zu setzen. Wir wollten lediglich einen Film machen.
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