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Die Purpurnen Flüsse


Produktionsnotizen

Interview mit Regisseur Mathieu Kassovitz

Dies ist der erste Film, der nicht auf Ihrem eigenen Drehbuch beruht. Was hat Sie gereizt an diesem Projekt?

Szene [600] [1024] Alain Goldmann rief mich eines Tages an und bat mich, den Roman zu lesen. Er fügte hinzu, dass Jean Reno sich für die Rolle des Niémans interessiere. Ich nahm also das Buch und verschlang es in einer einzigen Nacht. Am Ende habe sagte ich mir: "Das wäre tatsächlich eine ziemlich gute Grundlage für einen Film." Morgens rief ich Alain Goldmann zurück und bat ihn, das Drehbuch von Jean-Christoph Grangé lesen zu dürfen.

Das Shooting-Script haben Sie dann mit Grangé zusammen geschrieben. Wie gestaltete sich Ihre gemeinsame Arbeit?

Szene [600] [1024] Mit dem Autor eines Buches zusammenzuarbeiten, der die ursprüngliche Idee hatte, ist niemals einfach. Und ich gebe zu, dass ich etwas Angst hatte, weil es schwierig ist, ein 400-Seiten-Buch auf maximal 120 Drehbuchseiten zusammenzufassen, um daraus einen Film von 100 Minuten zu machen; es ist geradezu zwangsläufig, Dinge zu verkürzen - und hierbei leidet natürlich das Ego des Autors.

Glücklicherweise stand Jean-Christophe vollständig hinter dem Projekt und war der erste, der mir sagte: "Vergiss das Buch, wir kümmern uns nicht mehr darum. Lass uns ändern, was geändert werden muss, damit der Film ein Film wird."

Es war eine große Freude, mit ihm zu arbeiten, denn er besaß die Intelligenz, sich ganz in die Filmarbeiten zu stürzen und, das Buch vergessend, Änderungen zu akzeptieren.

Kannte er Ihre Arbeiten? Haben Sie darüber gesprochen?

Szene [600] [1024] Ja, er hatte meine Filme gesehen, mochte sie und war sehr zufrieden, dass ich diesen Film realisieren würde. Jean-Christoph ist jemand, der das Kino liebt, wirklich, und er schreibt seine Bücher ja bereits mit einem kinematographischen Gespür.

Als man ihm sagte, dass Jean Reno, den er anbetet, die Hauptrolle spielen würde, und schließlich auch noch Vincent Cassel seine Zusage gab, war er völlig aus dem Häuschen.

Ihren letzten Film als Regisseur haben Sie vor drei Jahren gemacht. Wie fühlte es sich an, wieder hinter der Kamera zu stehen?

Szene [600] [1024] Filme machen ist wie Rad- oder Skifahren, das verlernt man nicht. Aber nach Assasin(s) war es einfach sehr schwer, etwas zu finden, das ich wirklich machen wollte.

Von den geographischen und klimatischen Bedingungen her war Die purpurnen Flüsse ein ziemlich schwieriges, z.T. auch gefährliches Projekt.

Es war in der Tat aufregend und gefährlich. Jeder Gletscher ist unvorhersehbar, denn keiner weiß je genau, worauf man sich eigentlich bewegt. Wir hatten immer Bergführer aus Chamonix zu unserer Sicherheit dabei, und sie wurden nicht müde zu erklären, dass es nur zehn Meter weiter Gletscherspalten gäbe, in die schon Hunderte hineingefallen seien, oder auch, dass man von harmlos aussehenden Eisschollen zermalmt oder zersäbelt werden könne. Kurz gesagt: äußerste Vorsicht war durchaus angebracht.

Wir ließen Jean und Nadia unglaubliche Dinge tun, Abstiege in 40 Meter tiefe Schluchten mit Hilfe eines Krans, den wir heraufgebracht hatten. Es war ziemlich beeindruckend, es musste alles nach und nach per Helikopter hoch geflogen werden.

Szene [600] [1024] Es gab eine große Anzahl von Problemen. Beispielsweise wenn Wind aufkam, konnte es passieren, dass Sie innerhalb von zehn Minuten mitten in einem eisigen Schneesturm standen und dass der Helikopter die Crew nicht mehr abholen konnte, weil er einfach nicht gegen den Wind ankam, der mit 100 km/h lostobte. In solchen Schneestürmen kann auch die Temperatur auf Minus 15°C und weniger fallen, die Kameras vereisen, und der Film zerbricht Ihnen einfach.

Wie haben sich diese Erschwernisse auf Ihre Inszenierung ausgewirkt? Haben Sie sich Storyboards bedient, um bestimmte komplexe Aufnahmen überhaupt filmen zu können?

In extremen Situationen ist der Impuls aufzugeben ebenso stark, wie der, es genau nicht zu tun - und letzterer ist gottlob immer etwas stärker. Die Schlusssequenz des Films spielt auf einem Gletscherrücken. Wir befanden uns 3.200 Metern über dem Meeresspiegel. In dieser Höhe ist die Luft schon ziemlich dünn, und einige Mitglieder des Teams waren tatsächlich einer Ohnmacht nahe - einschließlich der Schauspieler, die in diesen Szenen ja auch kämpfen und sich verausgaben mussten. Zu allem Überfluss bleiben einem dort oben nur knapp drei Stunden Drehzeit pro Tag, weil die Sonne sehr schnell untergeht. Es ist sehr kompliziert, aber jedes Zögern oder Zaudern kostet letztlich nur Zeit.

Also passt man das Drehbuch ein wenig an. Man weiß, dass man einen Kran nicht für mehrere Tage auf 3.200 Meter heraufbringen kann, weil schon in der ersten Nacht alles einfriert, die Köpfe nicht mehr funktionieren und die Hydraulik verrückt spielt. Sie befinden sich also immer auf einer Gratwanderung, einerseits möglichst optimal und detailliert vorbereitet zu sein, und andererseits aber sich jeden Moment an die äußeren Gegebenheiten anzupassen.

Lassen Sie uns über die Darsteller sprechen. Jean Reno war von Anfang an Bestandteil des Projektes. Es war auch einer der Gründe, wie es heißt, dass Sie sich so sehr für Die purpurnen Flüsse begeistert haben.

Ich arbeite gerne mit Freunden zusammen, und Vincent wird immer dabei sein, wenn es irgendwie passt. Ansonsten gibt es nicht viele Schauspieler, mit denen ich wirklich gern arbeiten möchte. Jean hat bei vielen Filmen mitgewirkt, die mir als Zuschauer sehr wichtig waren. Wir kannten uns zwar nicht persönlich, aber wir sind uns manchmal begegnet und haben uns gegrüßt. Ich wusste, dass er Hass gesehen hatte und ihn schätzte. Und dann mag ich sehr, wie er seinen Job anpackt und mit seiner Karriere umgeht. Ich freue mich sehr, heute einen Zugang zu ihm zu haben und dabei zu sehen, dass er derselbe geblieben ist wie zu Anfang seiner Karriere und alles andere als abgehoben ist.

Sie kannten Vincent von früher, als er gerade anfing als Schauspieler. Wie hat er sich in Ihren Augen entwickelt?

Vincent wird älter. Er legt Gewicht zu, sowohl körperlich wie in seinem schauspielerischen Ausdrucksvermögen. In gewisser Hinsicht ist er so wie Jean: Sie sind beides Menschen, die das Leben wie eine gute Flasche Wein nehmen und gern kräftig zulangen.

Gab es Momente beim Drehen, die Sie überraschten?

Wir drehten zum Beispiel in einer enormen Bibliothek, und Jean sollte eine große Tür öffnen und in die Bibliothek hereinkommen. Die Aufnahme bestand in einer langsamen Rückfahrt. Es war Jean erster Drehtag. Wir bereiteten die Aufnahmen mit einem Double vor, das Double trat ein, wir regelten Licht und Kadrage und waren drehfertig. Ich hatte das beim Aufbau und den Lichtproben als eine ganz gewöhnliche Aufnahme gesehen, als wir dann aber die erste Probe mit Jean machten, bekam das allein durch seine Erscheinung Gestalt und Atmosphäre: "Ah, das ist es! Auf einmal ist es eine interessante Aufnahme."

Die weibliche Hauptrolle in Die Purpurnen Flüsse wird von Nadia Farès gespielt. Wie haben Sie sie ausgesucht?

Ich kenne sie seit ziemlich langer Zeit und weiß, dass sie trotz ihres zarten Äußeren eine sehr burschikose und mental starke Frau ist. Sie musste Abstiege im Gletschergebiet absolvieren, was sie vorher überhaupt nicht konnte, sie musste also richtig hart trainieren. Es kommen Schlägereien vor, ziemlich heftige Szenen, in denen sie einerseits ätherisch schön sein sollte, andererseits aber auch eine richtig gemeine 'Zicke'. Und Nadia ist all das. Sie ist extrem schön, sehr sportlich. Sie kann gleichzeitig zerbrechlich und hart sein, dieser physische Aspekt spielte eine sehr wichtige Rolle. Wenn ich den Film heute sehe, denke ich, dass Nadia die perfekte Wahl war.

Sind Sie ein "Männer-Regisseur"?

Ich bin kein Regisseur, der sich in seine Schauspielerinnen verliebt. Ich verliebe mich auch nicht in Schauspieler. Ich liebe Schauspieler sehr, aber ich liebe es vor allem, wenn sie arbeiten. Ich schubse sie gerne herum, ich treibe sie gerne an. Ich denke eigentlich, dass ihr Job zu leicht ist, und daher mag ich es, ihnen etwas in die Parade zu fahren.

Bei Jean und Vincent wusste ich, dass das gehen würde, die nehmen es und geben kontra. Bei Schauspielerinnen dagegen ist so etwas meist "vermintes Gelände". Dennoch habe ich Nadia nicht anders behandelt wie die beiden Männer. Ich halte es für einen Irrtum, mit Schauspielern wie mit Nippes umzugehen, die man in Watte packen muss. Ich mache keinen Unterschied bei der Arbeit mit einem Schauspieler oder einer Schauspielerin.

Zum Glück ist Nadia eine ziemlich handfeste Persönlichkeit, also ging ich ziemlich hart mit ihr um - aber im guten Sinne, für den Film. Ich messe dem Geschlecht keine besondere Bedeutung zu. Die Persönlichkeit zählt, ob die zu einem Mann oder einer Frau gehört, interessiert mich nicht sonderlich.

Hatten Sie Probleme, sich selbst als Autor-Filmemacher in diesem Projekt zu sehen? Glauben Sie, dass es wirklich ein Film von Mathieu Kassovitz ist?

Ja, es ist ein Film von Mathieu Kassovitz. Er ist durch meinen Kopf, durch mein Herz und meine Hände gegangen. Er hat meine Prägung. Ich habe diesen Film angenommen, weil ich darin Dingen nachgehen konnte, die mich sowieso interessieren.

Es geht in diesem Film um Erbhygiene, die Probleme des Klonens und allgemeiner um Manipulation von Menschen auf vielen verschiedenen Ebenen. Als ich am Ende der Geschichte angelangt war und die Lösung verstand, sagte ich mir, dass Die Purpurnen Flüsse eben nicht nur etwas war, was ich gerne lese (respektive sehe), sondern thematisch auch sehr nahe an dem, was ich gerne mache. Ich habe jedenfalls mein Bestes gegeben, und es ist ein Film von Mathieu Kassovitz, nach einer Idee von Jean-Christophe Grangé.

Es ist das erste Mal, dass Sie nicht mit Christophe Rossignon als Produzent gearbeitet haben. Der Produzent von Die Purpurnen Flüsse ist Alain Goldmann. Erzählen Sie uns bitte von dieser neuen Erfahrung?

Alain arbeitet auf eine vollständig andere Art und Weise wie Christophe: Alain stellt den Film von Anfang an zusammen, er macht den Mix der Leute, die an einem Projekt zusammenarbeiten. Die "Produktion vor der Produktion" ist ihm sehr wichtig, das heißt, das Drehbuch, das Casting, all das fasziniert ihn. Beim Drehen selbst hält er sich dann sehr zurück. Christophe dagegen ist fasziniert von Dreharbeiten und lässt mir dafür mehr Freiheiten in der Vorbereitungsphase eines Films.

Wenn Sie zurückblicken, was bedeuteten Ihnen die Dreharbeiten von Die Purpurnen Flüsse?

Ich empfinde Genugtuung, wenn mir Leute sagen: "Es hat sich gelohnt. Gut, dass du das auf dich genommen hast." Denn natürlich bedeuten Dreharbeiten Leid und Schmerz. Später sicher auch Freude und Stolz, aber während der Arbeit ist der Schmerz größer.




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