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Unterstützen Sie Kinoweb. Klicken Sie unseren Sponsor. VatelKostümeInterview mit Yvonne Sassinot de Nesle
Wieviel historische Genauigkeit und wieviel Fantasie stecken in den Kostümen für einen Film wie "Vatel"? [800] [1280] Da muss man ein Gleichgewicht finden. Wenn man einen historischen Film vorbereitet, dann muss man die Zeit sehr gut kennen, in der dieser Film spielt. Nicht nur der Zeitraum, in dem der Film spielt, im Fall von "Vatel" 1671, sondern auch die Periode davor und danach.
Ich habe mir die Freiheit genommen, einige Perioden zu vermischen,
da wir auf die speziellen Wünsche Roland Joffés eingehen
mussten, der einen gewissen orientalischen Eindruck wollte. Das
war sehr schwierig. So spielte also beides eine Rolle: Einerseits
die historische Genauigkeit durch meine Kostüme aus der
Zeit des Sonnenkönigs, andererseits bzw. gleichzeitig bin
ich aber davon abgewichen und habe Schnitte, Formen und Farben
benutzt, die etwas japanischer, etwas orientalischer wirken.
Wie sieht für Sie die erste Phase beim Entwurf der Kostüme für die unterschiedlichen Charaktere aus? Als erstes möchte ich immer gerne den Namen des Charakters erfahren, der das Kostüm anziehen soll. Der Name hat meist eine Bedeutung, genau wie so viele andere Dinge, die auf den ersten Blick nicht direkt etwas mit der Kleidung zu tun haben. Jeder von uns hat eine ganz besondere Art, sich selbst zu präsentieren, zu laufen: die Haltung ist entscheidend. Und dazu kommt natürlich in so einem Fall noch der eigentliche Schauspieler. Was der gerne tragen mag, auch daran muss man denken, nicht nur an die Rolle. Ich achte sehr darauf, keine Stoffe zu benutzen, die aus zu viel Nylon oder Acryl bestehen, denn das kann Probleme mit dem Ton hervorrufen. Ich versuche, Baumwolle, Leinen oder Seide zu verarbeiten, was gleichzeitig den Vorteil mit sich bringt, dass es bequemer für die Schauspieler ist. Das ist absolut notwendig, denn die Charaktere müssen in ihren Kostümen leben, man darf nicht einen Moment merken, dass sich hier Menschen verkleidet haben. Ein Kostüm wird meiner Ansicht nach erst dann richtig getragen, wenn man es vergessen hat. Es muss so sein wie eine Jeans heutzutage. Können Sie ein bisschen über Ihre Arbeit mit den Hauptfiguren erzählen? Gérard Depardieu kenne ich sehr gut, da gab es also überhaupt keine Probleme. Ich habe mir für seinen Charakter Vatel ein sehr nüchternes Kostüm ausgedacht, das er den ganzen Film durch trägt. Vatel musste die Tracht eines Bediensteten tragen, als Haushofmeister des Schlosses - "Master of Pleasure" - musste es aber auch fast schon der Rock eines Gentleman sein. Ich habe ihn mir schwarz vorgestellt, denn Vatel bewegt sich sowohl in der farbenfrohen Gemeinde des Hofes wie in der Welt der Küchen und unter den Dienern. Zu keiner dieser beiden Welten gehört er richtig. Vatel ist in dieser Hinsicht ein sehr freier Charakter, er geht von einer Welt in die andere, ganz einfach so, entschlossen und ruhig. Er kommt genauso gut klar mit dem Hofstaat - auch wenn es ihn etwas anwidert - wie mit den Menschen der unteren Klassen, die er sehr mag und versteht. Und nur eine schwarze, eher unauffällige Silhouette konnte da funktionieren. In rot, blau, rosa oder weiß konnte ich ihn mir nie vorstellen. Diese Farben hätten nie so einfach von einer Welt in die andere wandern können. Vatel hat eine dunkle Seite, er verurteilt die Menschen am Hofe und ist trotzdem dem Prinzen de Condé treu ergeben. Bei Uma Thurman musste ich einige Änderungen am Konzept vornehmen. Ich habe sie schon vorher mal eingekleidet und kannte sie gut. Sie hat diese unglaubliche Beweglichkeit und kann wie eine Schlange in ein Kostüm gleiten. Ich bin also das Risiko eingegangen, sie nur in fließende Kostüme einzukleiden, um auch die Geschmeidigkeit ihres Charakters zu betonen. Trotzdem musste sie natürlich ein Korsett tragen, dafür haben wir allerdings einen Sari abgewandelt und einige Stickereien an anderer Stelle angebracht, was einen sehr interessanten Effekt erzeugte. Um die Entwicklung ihres Charakters zu unterstreichen, trägt Anne de Montausier zunächst Grautöne, und ab dem Moment, als sie zur Mätresse des Königs wird, trägt sie Rot. Tim Roth, der den Marquis de Lauzun spielt, ist sehr zeitgenössisch, sehr modern. Seine Art, sich zu bewegen, passt eher in unsere Zeit. Wobei man nicht vergessen darf, dass die Anatomie damals sich nicht von der heutigen unterschied, und es gab eigentlich den Drang, sich ähnlich zu bewegen wie heute. Die Männer ritten auf Pferden und hatten ein anstrengendes Leben. Sie waren außergewöhnliche Fechtmeister und abgesehen davon, dass sie Perücken und Spitze trugen, waren es ziemlich virile Männer. Lauzun hat wie die anderen Charaktere seine eigene Farbe. Ich habe bei ihm mit Blau- und Malventönen gearbeitet, mit sehr kalten Variationen. Es ist nie ehrliches Blau, eher Amethystblau, eine Kombination, die die eisige und gefährliche Qualität seines Charakters noch verstärkt. Es ist eine Farbe, die ich sehr liebe, aber ich wollte ihr diesen kühlen Unterton geben im Gegensatz zu den Grün- und Gelbtönen Orleans oder dem Rot, das der König oft trägt. Der von Julian Sands gespielte König hat jedoch genaugenommen auch eine kalte, eisige Seite. Julian Sands war ein überaus charmanter Schauspieler, wenn er morgens in seinem Trainingsanzug am Set erschien, doch sobald er den König spielte, haben sich die Leute auf einmal ganz anders ihm gegenüber verhalten. Für eines seiner Kostüme habe ich einen sehr seltenen Stoff aus Pferdehaaren benutzt, eine Mischung, die auch hier wieder den von Roland Joffé gewünschten japanischen Einschlag hatte. Ich musste sehr vorsichtig sein bei der Fertigstellung dieses Kostüms, denn man durfte es überhaupt nicht knicken oder falten. Es gibt keine Nähte, ich habe alles mit Ösen und Knoten an der Seite und um die Hüfte befestigen müssen, so dass sich Sands auch hinsetzen konnte, ohne das Kostüm zu beschädigen. Ein anderes Kostüm hatte auf der einen Seite einen Ärmel und auf der anderen Seite eine völlig andere Form, etwas, das es zu der damaligen Zeit eigentlich nicht gab. Manchmal wollten wir uns einfach eine gewisse Freiheit nehmen, ohne jedoch völlig aus dem Rahmen zu fallen. Seine Halskrause war handbestickt, hatte jedoch keine Spitze und einen sehr simplen Knoten im Nakken, eher wie ein Band. Und dann gibt es auch noch das rote Kostüm, das er in der Allee der Vergnügungen trägt, mit einem riesigen Cape. Julian Sands war unerschütterlich, denn an diesem Tag war es sehr war und im Kostüm fast unerträglich heiß: Samtseide und darüber einen samtenen Überrock. Aber er selbst hat es so gewollt und darunter sogar noch ein Unterhemd aus Leinen getragen. Er ist sehr geduldig, sehr gelassen und extrem professionell, und er weiß, was eine Rolle von ihm verlangt. Sind alle Kostüme entworfen worden oder haben Sie auch auf einen externen Fundus zurück gegriffen? Es sind zu 100 Prozent eigene Kreationen. Wir haben sie entworfen und sie dann Stück für Stück den Rollen angepasst. Vorbereitet hatte ich alle Kostüme für das Küchenpersonal und die anderen Arbeiter, weil wir bei denen nicht wirklich wissen mussten, wer diese Kostüme anzieht. Es war eine sehr eng umrissene Gruppe aus Fleischern, Köchen und Küchenhilfen, die meisten bekamen Kleidung in einem dunklen Kohlegrauton. Vorbereitet waren wir auch auf die Kleidung für die Feste, um einen wirkungsvollen Gesamteindruck zu erzeugen. Die Kostüme für die Hauptfiguren habe ich in dem Moment entworfen, als die Namen der Schauspieler feststanden. Ich zeichnete neue Designs und verwarf die, die nicht passten. Aber die meisten Stoffe waren da schon zusammen mit Roland ausgewählt worden. Wie sind Sie beim Entwurf mit der Dreiteilung des Filmes umgegangen, es gibt ja drei grundverschiede Banketts? Ich habe alle Kostüme für den Film entworfen, ungefähr 800. Dementsprechend habe ich meistens das gleiche Kostüm für die drei Tage benutzt, die der Hof in Chantilly verbringt. Es ist nicht nötig, die Kostüme zu oft zu wechseln, da man sich irgendwann die Gesichter nicht mehr merken kann. Nur Condé und die anderen Hauptcharaktere tragen jeden Tag etwas anderes. In Wirklichkeit hätten sie sich mehrmals am Tage umgezogen, aber wir haben uns für einmal am Tag entschlossen. Ansonsten gibt es im Hofstaat kaum Veränderungen, und wir haben nur mit verschiedenfarbigen Überröcken gearbeitet, die von einem Gemälde von Nicolas de Largillère inspiriert sind. Einige der Designs erinnern ganz einfach und bewusst an Kimonos. Welche anderen Inspirationen haben Sie hinzu gezogen? Einige Maler, die man hier nicht alle nennen kann. Die Zeit war stark beeinflusst von Jean Bérain, dem Ausstatter der großen Feste Ludwigs XIV., aber wir haben seinen Einfluss betont etwas vermieden, weil Roland Joffé es nicht zu deutlich haben wollte. Andere Inspirationen waren japanische Gravuren, sehr alte Kostüme, die man in einigen Museen ausgestellt sieht oder in Gemälden dieser Zeit. Viele Eindrücke aus Japan und Siam sind eingeflossen, und dann ist da natürlich Lebrun, der große Maler Ludwigs XIV., sowie Hyancinthe Rigaud, ein wundervoller Porträtmaler. Sie haben mir beispielsweise bei den Perücken sehr geholfen. Roland wollte unbedingt Perücken, die etwas übertrieben wirken, um seinen Stil etwas auszubalancieren und für größere Klarheit zu sorgen.
Ich wurde angerufen, mich um alles zu kümmern, was mit den
Speisen zu tun hat, obwohl ich mich normalerweise eher mit Dekorationen
befasse. "Vatel" war ein sehr spezielles Projekt,
weil es eben nicht nur um die Speisen oder die Dekoration ging.
So genau wussten wir also am Anfang nicht, wie wir an die Sache
herangehen sollen. Schritt für Schritt haben wir uns dann
dieser Herausforderung genähert, haben ein Team aus verschiedenen
Bereichen zusammengestellt, Köche, Historiker, Dekorateure,
und so die immensen Anforderungen dieses Projektes erfüllt.
Welche Schwierigkeiten hatten Sie mit dem Design der
verschiedenen Dekorationen und Zusammenstellungen der Festspeisen?
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Die Arbeit bestand eigentlich für jeden Tag des Festes in
drei verschiedenen Bereichen. Das Bankett [Foto] als solches, sehr eindrucksvoll
und szenisch, dann alles, was mit den Beilagen und Snacks zu
tun hatte, die eher beiläufig aufgenommen wurden, und schließlich
die gesamte Arbeit und Ausstattung der Küchen.
Wir haben Modelle des Geschirrs und der Speisen gemacht für
das erste Bankett, das wir in Saint Cloud gedreht haben. Wir
wollten alles sehr schick und perfekt machen, aber wir mussten
relativ schnell arbeiten und haben dafür nur mit Dekorationen
gearbeitet.
Das zweite Bankett wollten wir appetitlicher, blumiger und fröhlicher.
Das Thema lautete Exotik, Fruchtbarkeit, Früchte und Blumen.
Es gab somit eine Menge Arbeit mit Blumen. Der Eindruck war sehr
angenehm und farbenfroh.
Und schließlich gelang uns auch noch die appetitliche Seite.
Wenn 50 Leute um einen Tisch sitzen, dann ist das nicht sonderlich
appetitlich, und deswegen haben wir uns ausschließlich
um den dekorativen Aspekt der Speisen gekümmert. Bei den
Festen konzentrierten wir uns auf die Charaktere, auf die Kostüme,
auf die Dekoration der Tische.
Alles sollte den Eindruck einer riesigen Show erwecken. Das Essen,
den Geschmack der Speisen, den Appetit haben wir dementsprechend
mit der Zubereitung transportiert, mit den Details und der Arbeit
in den Küchen. Da haben wir den Geschmack der Speisen endlich
gefunden, da, wo man die Zubereitung sieht, die Zutaten, die
Schönheit von Früchten und Gemüse.
Mussten Sie das Geschirr, die Gläser, die Platten
je nach dem szenischen Umfeld gestalten?
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Es gibt drei Bankette. Das erste basiert auf einem großangelegten
Schauspiel, das zweite ist ein Geflügelbankett mit dem schon
erwähnten Thema Exotik, Früchte und Blumen.
Das dritte Bankett schließlich hat das Motto Fisch, wobei
wir da nur die Überreste gefilmt haben. Der Hof hat die
Tische verlassen, und wir sehen, was übrig geblieben ist.
Es ist ein wenig dekadent: Wir sehen wie Menschen sind, ohne
diese Menschen zu zeigen.
Für das erste Bankett wollte Jean Rabasse Sandtöne,
was sehr viel dezenter ist, als ein wirkliches Bankett ausgesehen
hätte, nämlich sehr viel farbiger. Roland Joffé
wollte ein mythologisches Gleichnis für Saint Cloud, und
so brachten wir Apollo, Minverva und Aphrodite mit ein.
Für die Allee der Vergnügungen gab es dann keine wirklichen
Symbole, wir haben hauptsächlich mit Farben gearbeitet.
Und für das Fischbankett spielten wir mit der Leere, der
Stille und Verlassenheit, mit dem Hochmut des Hofstaates.
Sie mussten Sich in zwei Welten bewegen...
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Ja, auf der einen Seite der Hof und der König, Politik und
Vergnügen, auf der anderen die Küchen, Vatel (Foto), die Anstrengungen,
die Arbeiter und die Disziplin. Die Küchen wurden wie eine
Armee geführt. Und es gibt für mich auch eine offensichtliche
Parallele, wie in einem Filmteam gearbeitet wird. Sehr viele
der Beteiligten arbeiten mehr als das übliche Pensum, sind
sehr leidenschaftlich dabei, und jeder ist Spezialist in seinem
Bereich und muss gut organisiert sein.
So gibt es die Welt von Vatel, seine Armee, sein Team aus Leuten,
die ihn mögen und die er mag. Der Hof ist die andere Welt,
die ihn eigentlich gering schätzt und die er im Geheimen
verachtet. Es gibt diese eine Szene, wo Vatel eine Birne pflückt
und sie in der Küche kunstvoll zubereitet, und dann sehen
wir den König wie er ein Stück dieses Kunstwerkes herausschneidet
und seinem Hund zuwirft.
Wieviel Geschichte und wieviel eigene Schöpfung
sehen wir? Es gab sicherlich einige Fantasie bei ihrer Arbeit
und vielleicht auch den Wunsch, etwas einzubringen, das vielleicht
nicht unbedingt in diese Zeit gehört?
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[Foto: Vorbereitungen in der Küche]
Es ist eine Mischung. Wir haben versucht, wirklich historische
Ungenauigkeiten auszuschließen und wir sind dabei sehr
gut beraten worden. Zu den Leuten, die mit uns gearbeitet haben,
gehörten Yean-Yves Patte und Caroline Lebeau, die ein wundervolles
Buch produziert haben, das sich mit dieser Zeit beschäftigt.
Jean-Yves ist ein Historiker - und ein Gourmet - und die beiden
haben zusammen die "poetische" Seite der Speisen übernommen
und die Art, wie man sie präsentieren und servieren muss.
Wir haben zudem mit Marie-France Noël, der historischen
Beraterin, gearbeitet, die uns dann und wann ein paar Ausflüge
weg von der historischen Realität gestattet hat. Wir haben
Zeichnungen gemacht und sie mit Köchen abgesprochen, und
als sie diese Skizzen sahen, haben sie den Geist verstanden,
wie man die Speisen zuzubereiten und zu servieren hat.
Wie war die Arbeit mit Roland Joffé?
Sehr gut. Wir haben sofort verstanden, worauf er hinaus wollte.
Er ist ein sehr intensiver Mensch und ein Regisseur, der genau
weiß, was er will, sich aber nicht scheut, die Einwände
anderer zuzulassen. Wir haben sehr viel vorbereitet, aber wir
mussten auch während der Dreharbeiten noch oft improvisieren.
Es war ein großartiges Erlebnis für uns alle.
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