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Himmelskinder
Die Kindheit der Besitzlosen
Darstellungen von Kindern in iranischen Filmen
Filme über Kinder haben eine lange und ehrenvolle cineastische
Tradition im Iran, dem Land, das eine Jahrtausende alte Geschichte
besitzt und deren Bevölkerung eine der jüngsten der
Welt ist. Seit der Gründung des 'Zentrums für die geistige
Bildung von Kindern und jungen Erwachsenen' haben iranische Filme
über Kinder eine herausragende Rolle gespielt. Dadurch wurde
dem iranischen Kino ein bedeutender Platz in der internationalen
Filmlandschaft eingeräumt.
Die ersten Schritte, welche das Institut im Bereich der Filmproduktion
unternahm, fielen denn auch in die Anfänge des iranischen
New Wave, wie auch einige aufstrebende Regisseure wie zum Beispiel
Abbas Kiarostami und Bahram Bayzai in den frühen siebziger
Jahren für dieses Institut ihre ersten Filme machten.
Es kann auch dem unerhörten Erfolg Kiarostamis zugerechnet
werden, daß sich die iranische Tradition mit Filmen über
Kinder etablierte. Eine Reihe von vielversprechenden neuen Filmemachern
ließen sich von seinem Werk inspirieren und ermutigen,
in ihrem Genre Filme über Kinder zu drehen. Neben Panahi
und Talebi sind Majid Majidi, Abofazil Jalili, Ebrahim Foroozesh,
Keyoumars Pour Ahmad und Farhad Mehranfar weitere bedeutende
Regisseure auf diesem Gebiet. Alle diese bekannten Filmemacher
haben bedeutsame Fortschritte erzielt, seit sie Kinder für
ihre Filme engagierten.
Diese Filme beschreiben jedoch höchst selten die schönen
Seiten der Kindheit. Sie zeichnen im Gegenteil eine düstere,
von Verzweiflung und Trostlosigkeit durchdrungene Welt, in der
unschuldige Kinder sich selbst und ihrem Kampf ums Überleben
überlassen sind.
Besonders in den Filmen, die vor der Revolution entstanden,
lebten die Kinder in quälender Einsamkeit, ihr Leben war
bestimmt von Entbehrung und bitterer materieller Not. In den
Filmen nach der Revolution leiden die Kinder zwar nicht an emotionaler
Vereinsamung, aber sie sind immer noch undenkbar verarmt. Vom
ästhetischen her sind die Filme optisch aufpoliert, besitzen
einen naturalistischen Rhythmus und gehen sparsam um mit dem
Gebrauch von Dialogen. Ironischerweise müssen sie immer
noch Kinderstars hervorbringen, da die kindlichen Darsteller
dieser Filme meist Laienschauspieler sind und für die meisten
von ihnen der erste auch ihr letzter Film ist.
Wenn es ein Thema gibt, welches die Handlungen fast aller iranischen
Filme über Kinder, unabhängig von ihrer Entstehungszeit
durchdringt, dann ist es die nachhaltige Konzentration auf ein
belastendes Verlustgefühl. Manchmal leidet ein Kind schwer
an einem nicht wieder gutzumachenden, endgültigen Verlust,
wenn es etwa in Bayzais Filmen The Journey (1970) und
in Bashu, The Little Stranger (1986; Bashu - Der
kleine Fremde) seine gesamte Familie oder, wie in Sohrab
Shaheed Saless' A Simple Event (1973) und in Alireza
Davood Nejads The Need (1992) ein Elternteil verliert.
Auch wenn in anderen Fällen nur etwas so vermeintlich Unbedeutendes
verloren geht wie beispielsweise eine Puppe in Arsalan Sassanis
Bamboo Fence (1976), oder Geld, das zum Kauf eines Goldfisches
vorgesehen war wie in Jafar Panahis The White Balloon
(1995; Der weiße Ballon) oder ein Paar rosaroter
Schuhe wie in Majid Majidis Film Himmelskinder (1997),
so hat dieser Verlust nichtsdestoweniger einen starken Einfluß
auf die so unendlich bettelarmen Kinder und kann deren Leben
gleichermaßen zugrunde richten und zerstören.
Für Kinder oder über Kinder?
Es liegt auf der Hand, daß jede Erörterung, die sich
um das Thema 'Filme über Kinder' dreht, darauf zu achten
hat, zwischen Filmen zu unterscheiden, die für Kinder gemacht
werden und solchen, in denen Kinder lediglich auftreten.
Während die meisten Disney-Filme oder internationalen Klassiker
wie etwa Le Ballon Rouge (1956; Der rote Ballon)
von Albert Lamorisse und L'Argent de Poche (1975/76;
Taschengeld) von Francois Truffaut ganz offensichtlich
für Kinder gemacht wurden, sind andere Filme, zum Beispiel
Les Mistons (1957; Die Unverschämten)
von Truffaut, Sciuscia (1946; Der Schuhputzer)
von Vittorio De Sica, Au Revoir Les Enfants (1987; Auf
Wiedersehen, Kinder) von Louis Malle, Mitt Liv Som Hund
(1985; Mein Leben als Hund) von Lasse Hallström,
Lord Of The Flies (1963; Herr der F1iegen)
von Peter Brook, Los Olvidados (1950; Die Vergessenen)
von Luis Bunuel oder Pixote, A Lei Do Mas (1981; Asphalt-Haie)
von Hector Babenco ebenso offenkundig nicht für ein junges
Publikum gedreht worden.
Dieselbe Unterscheidung gilt auch für iranische Filme über
Kinder. Während Streifen wie The Runner (1985;
Der Läufer) von Amir Naderi, The Key (1987;
Der Schlüssel) von Ebrahim Foroozesh und Himmelskinder
von Majid Majidi sowohl von Kindern als auch von Erwachsenen
gern gesehen werden, sind die meisten iranischen Filme über
Kinder so sehr von Trübsinn und Angst durchtränkt,
daß sie praktisch ungeeignet, wenn nicht sogar verboten
sind für jugendliche Betrachter.
So wird zum Beispiel Kiarostamis Homework (1989), wohl
der beste iranische Dokumentarfilm über Kinder, aufgrund
seiner Vielschichtigkeit von einem jungen Publikum praktisch
nicht verstanden. Der Film, der in einer Reihe von Interviews
eine Gruppe Volksschulkinder über ihre Heimarbeit befragt
und dabei außergewöhnliche Tatsachen enthüllt,
wird zu einer zutiefst aufwühlenden Untersuchung über
die Wurzeln der patriarchalischen Unterdrückung.
In ihrem zum Klassiker gewordenen Aufsatz "The Image of
the Child in Contemporary Film" ("Die Darstellung des
Kindes im zeitgenössischen Film") versuchen die Autorinnen
Margaret Mead und Marthe Wolfenstein eine vergleichende kulturwissenschaftliche
Typologie anhand von Filmen zu erstellen, in denen Kinder auftreten.
Dort heißt es: "In italienischen Filmen erscheint
das Kind als Erlöser, in französischen als Beschwörung
der kindlichen Enttäuschungen; in britischen Filmen geht
es im wesentlichen um die Frage, ob die Erwachsenen das Vertrauen
des Kindes verdienen, während in amerikanischen Filmen das
Streben nach Unabhängigkeit diskutiert wird".
Betrachtet man diese Aufstellung, dann ist es das Thema der
kindlichen Enttäuschung, das in iranischen Filmen wohl am
häufigsten zum Tragen kommt. Auch geht es in den meisten
iranischen Filmen über Kinder, wie auch in den amerikanischen,
um die Suche nach etwas ganz Bestimmten. In den iranischen Filmen
steht jedoch nicht die Suche nach dem idealen Mann im Vordergrund,
sondern die Suche nach Vater oder Mutter, nach Geborgenheit bzw.
nach den elementaren Bedürfnissen des Lebens. Die Suche
kann sich aber auch um so einfache Dinge wie um einen Goldfisch
oder um ein Paar abgetragener Schuhe drehen, wobei es leicht
sein kann, daß der Aufmerksamkeit des Erwachsenen entgeht,
wie wichtig ein solcher Gegenstand in den Augen des Kindes ist.
Eines der bedeutsamsten Charakteristika der iranischen Filme,
in deren Mittelpunkt Kinder stehen, ist ihre einfache Handlung,
was vielleicht der Grund dafür ist, daß iranische
Filme im Ausland so beliebt sind. Der Streifen Where is The
Friend's Home? (1987; Wo ist das Haus meines Freundes?)
von Kiarostami handelt davon, daß ein Schuljunge herauszufinden
sucht, wo einer seiner Schulkameraden wohnt, damit er ihm sein
Schulheft zurückgeben und ihn so vor dem Zorn des gemeinsamen
Lehrers bewahren kann.
In And Life Goes On... (1992; Und das Leben geht
weiter), ebenfalls von Kiarostami, werden dieser Junge und
sein Freund zum Gegenstand einer Suche: Der Regisseur ist zu
dem von einem Erdbeben erschütterten Schauplatz des vorhergehenden
Films zurückgekehrt und will herausfinden, ob die beiden
Buben die tödliche Katastrophe überlebt haben.
In Bashu, The Little Stranger (1986; Bashu - Der
kleine Fremde) von Bahram Bayzai, einem ergreifenden
Drama über Zwangsumsiedelung, wird gezeigt, wie sich ein
heranwachsender Junge aus dem vom Krieg zerstörten Süden
des Landes an das Leben in einer Familie des Nordens anpaßt.
Der junge Flüchtling, der seine gesamte Familie im Krieg
verloren hat, spricht einen vollkommen anderen Dialekt und stammt
aus einem ethnischen Umfeld, das der Dorfbevölkerung des
Nordens völlig fremd ist. Am Ende sind es die menschlichen
Eigenschaften, die diesen unverbildeten aber würdevollen
Menschen gemeinsam sind und dazu beitragen, die seelischen und
kulturellen Barrieren zu überwinden.
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