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Jakob der Lügner


Szene

Produktionsnotizen

Die Dreharbeiten zu dem Film Jakob der Lügner begannen am 12. Oktober 1997 in Piotrkow, Polen, eineinhalb Stunden südwestlich von Warschau. Nach zwei Wochen zog das Team nach Budapest um.

Der Roman

Peter Kassovitz, der in Ungarn geborene Regisseur des Films, lebt und arbeitet in Paris, Frankreich. Als er 1990 seine Eltern in Budapest besuchte, stieß er das erste Mal auf den Roman "Jakob der Lügner". Er verschlang das Buch an einem Wochenende und fand die Geschichte so fesselnd, daß er sofort mit Jurek Becker, dem Autor, in Verbindung trat.

Becker, in Polen geboren, hat den größten Teil seiner Jugend im Ghetto von Lodz und in Konzentrationslagern verbracht. Als Kassovitz ihn aufsuchte, lebte Becker in Ost-Deutschland, wo er als Autor für Film, Fernsehen und Kabarett etabliert war.

Der erste Film der DEFA

Kassovitz erfuhr, daß "Jakob der Lügner" ursprünglich als Drehbuch geschrieben worden war. Als aus dem Skript nicht, wie Becker gehofft hatte, in der damaligen DDR ein Fernsehfilm wurde, schrieb Becker es zu einem Roman um. Der Roman wurde ein internationaler Erfolg.

Das staatliche Filmstudio DEFA griff den Stoff daraufhin wieder auf und produzierte den Spielfilm Jakob der Lügner, der 1974 auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin einen Silbernen Bären gewann. Becker gefiel die Idee, seine Geschichte nun in einer englischsprachigen neuen Fassung für ein weltweites Publikum zu produzieren. Begeistert überließ er Kassovitz die Rechte für einen Spielfilm.

Drehbuch

"Ich erhielt eine Option auf den Roman", erinnert sich Kassovitz. "Federführend war eine französische Produktionsfirma und Gouze Renal, eine recht bedeutende Produzentin. Wir entwickelten gemeinsam ein Drehbuch. Wir wollten es realisieren, was auch beinahe gelang. Das allgemeine Interesse war groß. Als Renal schließlich die Rechte am Buch wieder verlor, kaufte ich sie zurück."

Dann schrieb Kassovitz ein neues Drehbuch, gemeinsam mit dem französischen Autor Didier Decoin. Dieses Drehbuch zollt dem Originalroman in jeder Hinsicht Respekt. Das Buch vermittelt dem bitteren Thema des Ghettolebens eine Atmosphäre von Lebendigkeit und Witz.

Produktion

Gary Unger, der Manager von Kassovitz, las die neue Drehbuchfassung und kam auf die Idee, sie an Robin Williams zu senden, den er sich als Jakob Heym, den Helden wider Willen, vorstellte. Zunächst gab er das Skript an Marsha Williams, die Geschäftsführerin der Produktionsfirma Blue Wolf Productions. Ihr gefiel die Idee.

"Peter brachte dieses Projekt zu mir, weil er ganz offensichtlich hoffte, daß Robin die Geschichte gefallen würde", erinnert sich Marsha Williams. "Für uns alle wurde es ein großartiges Projekt, denn ich glaube, daß diese Geschichte einen universalen Appeal besitzt. Ich betrachte diese Geschichte voller Leidenschaft. Auch heute noch geschehen solche Dinge in unserer Welt. Die Charaktere sind gut gezeichnet, und für Robin ist es eine wunderbare Rolle. Die Geschichte hat mich bewegt, also hoffe ich, daß sie auch andere Menschen berühren wird."

"Sie besitzt einen unglaublichen Instinkt", sagt Robin Williams über Marsha. "Sie hat dieses Stück entdeckt. Und sie war es, die große Teile der Besetzung zusammengebracht hat."

Marsha und Robin Williams trafen sich mit Peter Kassovitz und seinem Sohn, dem Autor, Regisseur und Schauspieler Mathieu Kassovitz, zum erstenmal in einem Pariser Restaurant. Von diesem ersten Treffen an wußten die Beteiligten, daß sie eine gemeinsame Auffassung teilten, was dieser Film werden könnte. "Nachdem sich Marsha entschieden hatte, diesen Film zu realisieren", erinnert sich Kassovitz, "kamen die Dinge schnell ins Rollen."

Das Team

Man begann das Team zusammenzustellen, das Jakob der Lügner auf die Leinwand bringen sollte. Der Kern des Darsteller-Ensembles versammelt einige der besten Filmschauspieler der Gegenwart. Alan Arkin, Bob Balaban, Michael Jeter, den mit einer Oscar-Nominierung ausgezeichneten Armin Mueller-Stahl, Liev Schreiber und den Oscar-Gewinner Williams in der Titelrolle.

"Der Zeitpunkt stimmte", erzählt Marsha Williams. "Wegen anderer Verpflichtungen, die wir bereits eingegangen waren - What Dreams May Come und Patch Adams -, würde es zwar noch lange dauern, bis wir Jakob der Lügner ins Kino bringen könnten, doch ich hatte meine Traumbesetzung beieinander und konnte nicht damit rechnen, daß alle später zu einem gemeinsamen Zeitpunkt wieder verfügbar wären, also gingen wir die Produktion aggressiv an."

Nach einer erschöpfenden Suche nach den passenden Drehorten quer durch Osteuropa fanden Williams und Kassovitz schließlich die idealen Locations in Polen und Ungarn. Dann heuerten sie den Produzenten Steven Haft an, der mit Robin Williams bereits bei Dead Poets Society zusammengearbeitet hatte.

Die Kraft im Ghetto

Robin Williams war von dem Drehbuch sehr berührt, insbesondere von der Art, wie die Ghettobewohner es fertigbringen mit ihrem Leben fortzufahren, während sich um sie herum schrecklichste Grausamkeiten ereigneten. "Konfrontiert mit so etwas, kann man nur weitermachen, indem man alles mobilisiert, was noch in seinen Kräften steht. Und Humor ist sicherlich ein Teil davon. Es mag merkwürdig oder verrückt anmuten, daß Menschen angesichts dieser Dinge noch Sinn für Humor entwickelten, aber das war so. Angesichts von Mitmenschen, die Selbstmord begingen, und anderen, die erschossen wurden, weil sie sich zu nahe ans Ghetto-Tor gewagt hatten, wurden dennoch Konzerte organisiert, Theaterinszenierungen und all das andere. Man versuchte Dinge aufrechtzuerhalten", sagt Robin Williams.

"Am Drehbuch faszinierte mich diese Kraft", fährt Williams fort. "Das Skript wechselte hin und her zwischen sehr komischen, sehr tragischen und dazwischen äußerst brutalen Augenblicken. Die meisten Szenen handelten vom alltäglichen Leben - aber alles angesichts eines schrecklichen Hintergrunds."

Die Figur des Jakob

Jakob ist nur die jüngste Figur in einer Reihe unvergeßlicher Charaktere, die Williams verkörpert hat einer Reihe, die zurückreicht zu seinen Leistungen in Awakenings, The Fisher King, Dead Poets Society, Moscow on the Hudson, oder, in jüngerer Vergangenheit, Good Will Hunting: "All diesen Figuren haftet ein Gefühl gewisser Traurigkeit an", sagt ihr Darsteller. "Er hat seine Frau verloren, er hat vieles durchgemacht und dennoch lebt er weiter. Er ist immer noch einer, der überlebt."

Zu Beginn der Geschichte empfindet Jakob sich selbst noch nicht einmal als besonders jüdisch. Wie er im Film formuliert: "Ich bin es nicht - ich zünde am Sabbat nicht die Kerzen an." Für die Gestapo hingegen ist er der größte und gefährlichste Jude. Er selbst hat sich stets als Pole betrachtet. Und dann hat man ihn gezwungen sich im Ghetto aufzuhalten, und auf eine merkwürdige Art findet er nun heraus, wie jüdisch er ist - zunächst durch Gewalt, dann aber auch durch die Anpassung an die Lage, in der er ist.

Genauso wie Jakob veranlaßt wird, sich selbst in einem neuen Licht zu betrachten, so soll das Publikum - das jedenfalls hofft Williams - die Menschen in einem neuen Licht sehen, die den Holocaust zu durchleiden hatten. "Der Zweck des Ganzen," sagt der Schauspieler Williams, "ist es, diese Leute als menschliche Wesen wahrzunehmen. Nicht als Teil einer Statistik oder Zahl."

Dreharbeiten

Im Herbst 1997 versammelte sich in Lodz, Polen, dann ein wahrhaft internationales Team von Künstlern und Schauspielern - in jenem Lodz, das der Geburtsort Jurek Beckers ist, und dort, wo sich das Ghetto befand, in dem er die Kriegsjahre verbrachte.

Anfang Oktober drehte man jene Szene, in der die jüdische Bevölkerung aus dem Ghetto deportiert wird. Dafür wurden 400 Statisten aus dem Ort engagiert, alle in zerschlissener Kleidung, jeder mit dem aufgenähten sechszackigen Judenstern. 55 Jahre zuvor, in exakt derselben Woche, waren zweitausend Juden aus Piotrkow von Nazi-Truppen von exakt demselben Platz deportiert und später ermordet worden.

Williams erinnert sich gerade an diese bedeutsame historische Parallele: "Über diesen Straßen und in diesen Gebäuden, Wohnungen und Fluren schwebt ein sehr mächtiges Gefühl. Es verband sich mit dem Aussehen dieser Menschen, die unsere Statisten waren. Sie waren keine Statisten mehr. Es sah wie Dokumentarfilmmaterial aus. Man geht die Straße hinunter und trifft auf diese Gesichter."

"Dadurch, daß wir in Polen drehten und in Budapest, wurde unsere Arbeit unheimlich erleichtert", sagt Alan Arkin, der die Rolle des zynischen Schauspielers Frankfurter übernahm. "Schon, wenn man dieses Kostüm trägt, wird die Aufgabe leichter. Es ist schwere Kleidung. Die Kleidung, die man damals trug, wog zwei- oder dreimal soviel wie unsere heutige. Die Schuhe wiegen schon eine Tonne. Das physische Dasein wird so zur Bürde. Es ist kalt. Es herrscht eine andere Art von Kälte als in den Vereinigten Staaten."

Williams stimmt Arkin zu. Die Kostüme machen bereits viel aus. "In dem Augenblick, in dem man sich einen Mantel überzieht, auf den ein Davidstern aufgenäht ist", sagt Williams, "erhält dieser Mantel bereits eine bestimmte Schwere. Er ist plötzlich mehr als nur ein Kostüm. Er vermittelt Kraft und Schwere zugleich."

Armin Mueller-Stahl, der Dr. Kirschbaum spielt, bringt eine einzigartige Perspektive in diese aktuelle Produktion von Jakob der Lügner. Er ist der einzige im Team, der bereits in der DDR-Produktion Jakob der Lügner aus dem Jahr 1974 aufgetreten ist.

"Ich kannte Jurek Becker sehr gut", erinnert sich Mueller-Stahl. "Er war ein Freund, und wir arbeiteten zusammen. Wir sind ja beide in der DDR aufgewachsen. Er war ein sehr talentierter, warmherziger Mensch. Sein Humor traf genau den Geschmack des Publikums."

Unter diesen einzigartigen und extremen Drehbedingungen rückten Schauspieler und Crew eng zusammen. Es entstand so etwas wie eine Familienatmosphäre. "Man traf auf wirklich nette und angenehme Menschen, die gerne beieinander waren", sagt Robin Williams. "Wir schienen alle sehr gut zusammenzupassen. Ich liebte die Gesellschaft dieser Menschen."

Regisseur Peter Kassovitz, seine Produktionsdesignerin Luciana Arrighi und die Kostümdesignerin Wieslawa Starska gaben sich sehr große Mühe, die authentischen Details des Lebens in einem osteuropäischen Ghetto wieder zum Leben zu bringen. Der Schlüssel zu dieser Arbeit und dem Gesamteindruck des Films war die sorgfältige Recherche in Archiven.

"Ich wollte die Welt, in der ich selbst aufwuchs, so realistisch wie möglich neu erschaffen", sagt Regisseur Kassovitz dazu, der sich noch sehr lebhaft an sein Leben als jüdisches Kind in dem von Nazis besetzten Budapest erinnert. "Jedes Kostüm, jede Drehortausstattung basiert auf Fotodokumenten jener Zeit. Die Geschichte und ihre Perspektive auf diese Welt sind mir sehr nahe. Sie sind dem nahe, was ich durchlebt habe, und spiegeln meine Gefühle über diese Zeit. Wir gaben uns große Mühe diese Zeit authentisch auf Film einzufangen."

Das Team drehte in Budapest, dort, wo sich das Ghetto von Budapest befand, nur wenige Schritte die Straße hinunter, wo einst das Büro von Adolf Eichmann lag, jenem Eichmann, der Chef des Jüdischen Büros der Gestapo während des Zweiten Weltkriegs war und der die "Endlösung" exekutierte - die totale Vernichtung des europäischen Judentums.

Der Humor

Trotz dieser düsteren Drehorte schafft es der Film, nicht wenig humoristische Funken aus der Situation zu schlagen. So wichtig dieser Humor für die Geschichte ist, als so schwierig konnte er sich unter diesen Umständen erweisen. Kassovitz erinnert sich, was für eine Herausforderung dies selbst für jemanden von der Statur eines Robin Williams bedeutete. "Als er sich das Drehbuch anschaute", sagt Kassovitz, "stand er erst einmal unter Schock. Es war schwer zu akzeptieren, daß man einen solchen Film mit komödiantischen Zügen versehen durfte, ohne sich schuldig zu fühlen."

Für Williams gab der Humor den Ton des Films an. "Manchmal ist es eine schwarze Komödie. Manchmal ist der Humor sehr physisch. An anderen Stellen ist er die Medizin. Humor erscheint in diesem Film in unterschiedlichsten Formen. Zuweilen ist er überbordend und dann ist er wieder sehr subtil, liegt vielleicht nur in einem Blick."

Regisseur Kassovitz' "ungarische Sensibilität" - wie Williams sie nennt half ihm dabei, seine anfängliche Scheu zu überwinden und aus dem Komödiantischen zu schöpfen. "Wenn es um Komödie geht, hat Kassovitz keine Angst davor aufzudrehen. Als ich anfing, herrschte eher die Stimmung ,Das kann man nicht machen'. Kassovitz sagte: ,Das darf man nicht mit Schuldgefühlen angehen.' Er sagte, wir sollten uns vor der Komödie nicht fürchten."

Überlebende des Holocaust, die auch das Drehbuch gelesen hatten, gaben Williams zusätzliche Sicherheit. Ein Überlebender, Janos Gosztonyí, der im Film den Samuel spielt, erzählte Williams von Menschen, die gezwungen wurden, tage- und nächtelang in Reih und Glied zu stehen. Um sich wach und am Leben zu erhalten, erzählten sie einander Witze. "So haben sie überlebt", sagt Williams. "Das macht uns zu menschlichen Wesen."

Ausstattung

Um die Balance zwischen der heiteren Seite des Lebens und seinen dunkelsten Randgebieten zu erhalten, war das Gesamtaussehen des Films wichtig. "Es war ein sehr interessanter Film", sagt Produktionsdesignerin Luciana Arrighi. "Das Originaldrehbuch, das einen verzaubert, löste in mir einen längeren Denkprozeß aus. Das Ganze ist weder unglaublich düster, noch aber ist es ,Fiddler on the Roof'. Man muß in dieser düsteren Zeit den Humor und die Liebe zum Ausdruck bringen, und das verlangt nach einer Balance im Gesamt-Look. Meinen Job sah ich in erster Linie darin, den Schauspielern einen Hintergrund zu geben. Ich glaube, wir haben für sie die richtige atmosphärische Umgebung geschaffen."

Für manche, wie Bob Balaban, der den Kowalsky spielt, war diese "Umgebung" verstörend realistisch. "Die Ghetto-Straße wurde auf beiden Seiten von einer Mauer eingeschlossen. Es gibt Wachtürme und Scheinwerfer, die nachts auf uns herunterscheinen. Ich schaue mich um und sehe Menschen mit Schubkarren und Kinder, die auf der Straße hin- und herrennen. Und dann erscheint die Gestapo und schreit uns an. Ihre Wachhunde bellen ... Für mich war das Ganze absolut erschreckend."

Optimismus

Trotz dieser Realitäten ist für Michael Jeter, der den Avron in Jakob der Lügner spielt, die Geschichte voller Optimismus. "Die Story ist der sehr einfache, aber sehr beredsame Ausdruck menschlicher Hoffnung", erklärt er seinen Standpunkt. "Es ist schon merkwürdig, wie in unserem Leben eine einzige neue Information Veränderungen bewirken kann. Für die Menschen in dieser Geschichte bedeutet die eine Information, die sie erhalten, daß sie glauben dürfen - glauben, daß ihre Leben auch noch am nächsten Tag von Bedeutung sein können. Es ist nur die Hoffnung, daß das Leben auch morgen noch weitergehen wird. Allein das bringt bereits ein Element der Freude in ihr Leben."

Die Dreharbeiten waren im Dezember 1997 abgeschlossen. "Daß wir der Geschichte gerecht geworden sind und daß Leute dies erkennen werden und dieselbe Leidenschaft und Kraft erfahren, die wir dabei gefühlt haben", hofft Marsha Williams für den fertigen Film.

Menschlichkeit

Was soll das Publikum nach Meinung von Robin Williams aus diesem Film mit nach Hause nehmen? "Die Menschlichkeit. Ein Gedenken an diese Menschen, an ihre Leben", sagt er. "Es handelt sich hier um ein sehr intimes Portrait des Lebens angesichts des Todes."

"Das Ganze bedeutet mir viel", fährt Williams fort. "Nicht nur, weil wir es selbst produzieren. Als wir den Stoff lasen, hielten wir es für einen sehr starken Stoff. Es ist ein Stoff, der von einer sehr schmerzlichen, sehr schrecklichen Zeit in der Geschichte der Menschheit erzählt. Aber wichtig ist, daß er von jenen Menschen erzählt, die durch diese Zeit hindurch mußten. Das Buch hat das geleistet, und wir hoffen, der Film wird es auch leisten."


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