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Kalmans Geheimnis


Produktionsnotizen

Szene Als Schauspieler hat es Jeroen Krabbé längst zu internationalem Ruf gebracht. Als Maler ist er auf dem besten Weg dazu. Das Inszenieren von Bildern auf Leinwand, sein Talent und seine Erfahrung als Darsteller hat er nun erstmalig in einem Film vereint. Mit "Kalmans Geheimnis" gibt Jeroen Krabbé sein Debüt als Regisseur. "Es war schon immer der Schauspieler in mir, der den Pinsel über die Leinwand des Malers geführt hat. Insofern ist es eine natürliche Entwicklung, wenn ich als Maler nun meinen Rahmen größer stecke, um darin echte Menschen zu inszenieren", beschreibt Krabbé seine Motivation.

Drei Debütanten - ein Film

Szene Es war der Roman "Twee Koffers Vol" (deutsch "Zwei Koffer") der niederländischen Schriftstellerin Carl Friedman, der für Krabbé den Ausschlag gab, den Schritt hinter die Kamera zu wagen. Schon kurz nach dem Erscheinen 1993 drückte ihm eine gute Freundin das Buch in die Hand und empfahl es als wunderschöne Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Studentenunruhen in den 70er Jahren und chassidisch-jüdischer Kultur.

"Was sie mir nicht erzählte, war das Ende", erinnert sich Krabbé "Es war das Finale mit dem Tod des Kindes, was mich absolut schockierte." Doch gerade dieser Schock inspirierte ihn zu den ersten Bildern - bewegten Bildern. "Man bekommt Hintergrundinformationen über Menschen, die einem völlig fremd sind, es gibt diese seltsam-schöne Liebesgeschichte und dann diese unglaubliche Wendung zum Schluß. Mein Gefühl des Schocks würde sich auf das Publikum übertragen, die Zuschauer nachdenken lassen über das Gesehene. Da war für mich klar: Das ist der Film, den ich machen will!"

Er schickte das Buch Ate de Jong, einem langjährigen Freund, unter dessen Regie Krabbé 1935 bei Im Schatten des Sieges vor der Kamera gestanden hatte. Dazu de Jong: "Ich kam zu diesem Film wie die Jungfrau zum Kind. Es ist eine tolle Geschichte, aber kein Stoff für mich als Regisseur. Bis Krabbé meinte, er wolle Regie führen und ich solle produzieren. Das fand ich spannend, denn ich war noch nie Produzent eines Films gewesen."

Mit Krabbé und de Jong waren es schon zwei, die sich neuen Aufgaben stellten, Schauspieler und Regisseur Edwin de Vries sollte der dritte werden. Zusammen mit Ate de Jong hatte er das Drehbuch zu Im Schatten des Sieges geschrieben und trat im Film als Gegenspieler Krabbés auf. Mit Kalmans Geheimnis sollte er nun zum ersten Mal allein für das Drehbuch eines Kinofilms verantwortlich zeichnen.

"Für Nino" (1991 - 1993)

Szene Nicht nur der Beruf und die gemeinsamen Dreharbeiten verbinden Krabbé und de Vries in Freundschaft, sondern auch ähnliche Erfahrungen in ihrer Jugend. Jeroen Krabbé wurde 1944 im Amsterdamer Versteck seiner jüdischen Mutter geboren. Der Tatsache, daß sie mit einem Nicht-Juden verheiratet war, verdankt sie ihr Überleben im von Hitler besetzten Holland.

Erst nach dem Krieg eröffnete sich ihr das ganze Ausmaß der der Schreckensherrschaft - ihre gesamte Familie war deportiert und umgebracht worden. "Ich wuchs in völligem Schweigen auf, erinnert sich Krabbé an seine Kindheit, "im Schweigen der Menschen, die überhaupt noch nicht fassen konnten, was passiert war. Es machte sie stumm, sie konnten nicht über ihre Vergangenheit sprechen."

Auch Edwin de Vries, 1950 als Sohn jüdischer Eltern geboren, wuchs mit diesem Schweigen auf. Krabbé wußte, daß de Vries mit diesem Hintergrund in die Geschichte von Friedmans "Zwei Koffer" persönlich involviert sein würde, denn auch die Heldin Chaja wächst mit dem stillen Verdrängen ihrer jüdischen Eltern auf.

Doch dann passierte 1993 ein trauriger Zufall, der ebenfalls im Roman seine Parallelen hat: Edwin de Vries' dreijähriger Sohn Nino stirbt. Jeroen Krabbé zögert zunächst, ihm das Drehbuch anzubieten. Doch dann entwickelte es sich über die Monate und 14 Fassungen hinweg sehr positiv. "In diesem Drehbuch liegt Edwins ganze Seele und sein Blut", ist sich Krabbé sicher.

Eine Freundin von Weltruf

Szene Das fertige Drehbuch verschickten Ate de Jong undJeroen Krabbé weltweit an alle Menschen, die sie im Filmgeschäft kannten - und ernteten ausschließlich positive Reaktionen. Vor allem Isabella Rossellini, die von Krabbé schon während der Dreharbeiten zu Ludwig van B. - Meine Unsterbliche Geliebte Friedmans Roman geschenkt bekam, zeigte sich vom Drehbuch begeistert.

Dazu Krabbé "Als sie zusagte, schwebte ich auf Wolke sieben, nicht nur weil ich sie als Freundin und Kollegin sehr schätze, sondern auch, weil es bedeutete, daß wir keine Schwierigkeiten bei der Geldbeschaffung haben würden. Mit Isabella Rossellini an Bord fließen die Geldquellen."

Doch es kam zunächst anders. Einer der Geldgeber wollte nicht an den Erfolg eines Films mit tragischem Ausgang glauben und stieg aus. Ein Jahr mußten die Dreharbeiten verschoben werden, und in der Zwischenzeit beschlichen Rossellini Bedenken an ihre Glaubwürdigkeit in der Rolle einer chassidischen Frau: "Ich hatte Angst, mich in den kleinen Gesten zu verraten. Meine Bedenken lagen nicht in den großen Gefühlen, wie etwa die Liebe zu meinen Kindern oder die Trauer über den Verlust eines Kindes - das ist universell. Ich machte mir Sorgen um die kleinen Dinge, die verraten würden, daß ich nicht einmal Jüdin bin, geschweige denn ein Chassidim. Ich bin katholisch und noch dazu aus Rom. "

Aber auch da leistete Krabbé fabelhafte Überzeugungsarbeit und engagierte für Rossellini, wie übrigens auch für sich selbst, einen jüdischen Lehrer, der sie in allen Fragen beriet. Und Isabella blieb an Bord.

Zwei ungewöhnliche Hauptdarsteller

Szene Viel schwieriger gestaltete sich die Besetzung der beiden Hauptrollen, der Studentin Chaja (Foto) und des kleinen Jungen Simcha. Zu diesem Zweck tat sich Krabbé mit der Casting-Managerin Susie Figgis zusammen, die durch Filme wie Interview Mit Einem Vampir, Butcher Boy und Ganz Oder Gar Nicht zu internationalem Ansehen gelangte. Auch sie ist eine langjährige Bekannte von Krabbé, seit sie ihm 1985 mit der Besetzung in John Irvins Ozeanische Gefühle das Tor nach Hollywood öffnete.

Drei Monate suchten sie gemeinsam nach einer jungen, unverbrauchten Darstellerin für die Rolle der Chaja. Dutzende von jungen Talenten sahen sie sich an, er in den Niederlanden, sie in England. Im Februar 1997, zwei Monate vor Drehbeginn, wurde Figgis in London fündig: Laura Fraser, eine junge schottische Schauspielerin, die Figgis sofort bei Krabbé zum Casting-Termin bestellen ließ.

"Ich wurde vorgewarnt, daß dieses Mädchen total unordentlich wäre, bestimmt ihren Text nicht kennen würde und mit Sicherheit zu spät zum Termin käme, aber Figgis meinte, sie wäre einfach Dynamit. Und es kam genau wie vorhergesagt: Laura Fraser kam zu spät, ihre Haare waren zerzaust, sie konnte ihren Text nicht, und sie war genau das, was ich suchte. Sie hatte diese geballte Energie in sich, konnte aber auch ruhige, zarte Gefühle ausdrücken."

Währenddessen lief auch die Suche nach einem Jungen für Simcha auf vollen Touren. Figgis durchsuchte nicht nur die Karteien englischer Agenturen für Kinder-Casting, sondern sah sich auch selbst in Kindergärten und Schulen um. Auf dem Spielplatz einer jüdischen Schule in London entdeckte sie Adam Monty, einen aufgeweckten Jungen mit zauberhaftem Lächeln, den sie sofort zum Casting-Test einlud. "Das Tolle an Adam war nicht nur sein bestechendes Wesen, er konnte auch das hebräische Lied, das er in Film zu singen hat, schon vom Kindergarten her" weiß Krabbé über seinen Besetzungsglücksgriff zu berichten. Als mit Adam Monty die letzte Lücke in der Cast-Liste geschlossen war, konnten am 16. April 1997 die Dreharbeiten im Studio in Amsterdam und zwei Wochen danach im belgischen Antwerpen beginnen.

Antwerpen

Die Diamantenstadt Antwerpen ist der einzige Ort auf dem europäischen Festland, an dem noch eine chassidisch-jüdische Gemeinde existiert. In dieser authentischen Atmosphäre aus traditionellen Geschäften und pittoresken Häusern wollte Jeroen Krabbé seinen Film drehen. Ein nicht einfaches Unterfangen, denn Chassidim stehen weltlichen Dingen eher ablehnend gegenüber. Eine große Filmcrew mit viel technischem Aufwand und bekannte Stars wie Isabella Rossellini und Maximilian Schell würden viele Schaulustige anziehen, was die Ruhe in dem kleinen Viertel in der Nähe des Antwerpener Bahnhofs empfindlich stören könnte.

Krabbé wählte gleich zwei Wege zur vorsichtigen Kontaktaufnahme mit der chassidischen Gemeinde. Zunächst gab er seinem jüdischen Lehrer das Drehbuch, der es an den Rabbi in Amsterdam weiterleitete, damit dieser es dem Antwerpener Rabbi weiterempfehlen konnte. Zum anderen fuhr Krabbé selbst an Ort und Stelle, um in den Geschäften und Restaurants Reaktionen auf eventuelle Dreharbeiten einzuholen.

"Zu meinem Erstaunen zeigten sich die Chassidim sehr kooperativ" erzählt Krabbé "Sie stellten nur vier Bedingungen: Im Film dürfe der Chassidismus nicht lächerlich gemacht werden, es müsse eine Drehgenehmigung der Stadt vorhanden sein, und wir müßten uns an zwei jüdische Regeln halten, kein Drehen am Sabbath und kein unkoscheres Essen. Diese Auflagen waren für uns selbstverständlich".

Schon am ersten Drehtag zeichnete sich eine neue Überraschung ab: Isabella Rossellini wurde zum Star der Straße. Zu Hunderten kamen die Chassidim aus ihren Häusern und verfolgten gespannt das Treiben der Filmcrew, und das obwohl Starren und Angestarrt werden ihrer Religion nach als äußerst unschicklich gilt. Vor allem die Frauen waren entzückt, denn Rossellini trug die gleiche traditionelle Kleidung wie sie selbst. Es verging kein Tag, an dem die schöne Römerin nicht zu einem Essen oder zu einem Fest eingeladen wurde. "Isabella war so glücklich, daß man sie so herzlich aufnahm", berichtet Krabbé - "ihre letzten Bedenken waren damit wie weggewischt." Nach den gelungenen Aufnahmen im Studio in Amsterdam ging es dann zu Außenaufnahmen nach Antwerpen.

Vater und Sohn

Jeroen Krabbé war sich von Beginn an im klaren darüber, daß er sich mit der Besetzung eines Kindes in einer der Hauptrollen eine hohe Aufgabe gestellt hatte. Zwar hatte er mit Adam Monty von Alter, Aussehen und Einfühlsamkeit her den perfekten Simcha gefunden, aber ob der Junge, der noch nie einen Film gedreht hatte, auch die harten Anforderungen am Set durchhalten würde, blieb bis zu seinem ersten Drehtag fraglich.

"Das Wichtigste war, daß ich sein Vertrauen gewinne", beschreibt Krabbé die erste Kontaktaufnahme. Er selbst hat drei Söhne großgezogen, und so fiel es ihm nicht schwer, die Freundschaft des Fünfjährigen zu gewinnen. Spielerisch bereitete er den Jungen auf die kommenden Dreharbeiten und seine Rolle vor. Dazu Krabbé: "Noch vor der ersten Klappe hatten wir ein Verhältnis wie Vater und Sohn. Aber auch für einen Vater ist es nicht einfach, die Aufmerksamkeitsspanne eines Kindes länger als 20 Minuten aufrecht zu erhalten, was bei Fünfjährigen ganz normal ist."

Hatte Adam Krabbé als Regisseur hinter der Kamera in Alltagskleidung schnell akzeptiert, war ihm Krabbé als Kalman mit Bart und Kaftan nicht geheuer. "Er konnte nicht verstehen, warum der nette Jeroen plötzlich so grimmig war und herumbrüllte. Als ich zum ersten Mal als Kalman auftrat, war Adam stocksteif vor Angst", erinnert sich der Regisseur.

Doch auch da half ein Trick: Krabbé ließ sich zusammen mit dem Jungen in der Maske schminken, so wurde Adam live Zeuge der Transformation von Krabbe in Kalman. "Die Angst vor mir als Kalman verschwand, aber der Respekt vor dem Bart blieb, was sehr gut zu Adams Rolle als Simcha paßte."

Auch die Chemie zwischen Laura Fraser und Adam klappte auf Anhieb, was sich positiv auf die vielen gemeinsamen Szenen auswirkte: "Ich mochte Adams Gesellschaft, er war angenehm im Umgang, was mir sehr bei der Rolle half. Wenn wir uns nicht wirklich gemocht hätten, hätte man das im Film gesehen." Nach fünf Wochen Dreh fiel für Adam Monty die letzte Klappe. Zwischen dem Regisseur und seinem Star hat sich in der Zeit eine tiefe Freundschaft entwickelt: "Noch heute besuche ich Adam regelmäßig in London. Es ist so schön, den kleinen Kerl aufwachsen zu sehen."

Erste Erfolge

Am 2. Juni 1997 fällt in Antwerpen auch für den Rest des Teams die letzte Klappe. Für Laura Fraser war es das erste Mal, daß sie unter der Regie eines Schauspielkollegen spielte: "Die Tatsache, daß Jeroen Krabbe Schauspieler ist, war für mich sehr hilfreich. Er hat mir so viele Einsichten in den Beruf vermittelt und niemals nur diktiert, sondern die Dinge auf einfache Art erklärt."

Auch Isabella Rossellini, die Krabbé bisher nur von der gemeinsamen Arbeit vor der Kamera her kannte, ist voll des Lobes: "Es ist wunderbar, für einen Regisseur zu arbeiten, der ganz genau weiß, was du als Schauspieler durchmachst; der deine Eitelkeiten, Empfindlichkeiten und Irritationen spürt."

Für Jeroen Krabbé selbst war die Arbeit an Kalmans Geheimnis mit dem letzten Drehtag jedoch noch nicht beendet. In Los Angeles erhielt der Film durch den Schnitt von Edgar Burcksen seinen endgültigen Schliff. Wieder zurück in Amsterdam untermalte Komponist Henny Vrienten - übrigens auch seit Im Schatten des Sieges ein langjähriger Freund von Krabbe - die tragisch-romantische Geschichte von Chaja und Simcha mit seiner Musik.

Auf den 48. Internationalen Filmfestspielen in Berlin erlebte Kalmans Geheimnis unter dem Originaltitel Left Luggage im Februar 1998 seine Weltpremiere als Beitrag im Wettbewerb. Er wurde ein großer Erfolg bei Publikum und Presse und gewann gleich vier renommierte Preise: den "Blauen Engel" - den Preis der Europäischen Film- und Fernsehakademie fürJeroen Krabbé, den Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater, den Preis der Leserjury der Berliner Morgenpost, und eine lobende Erwähnung der internationalen Wettbewerbsjury für Isabella Rossellini für ihre außergewöhnliche Darstellung.

Im Mai darauf wurde Jeroen Krabbe mit seinem Filmerstling zum 9. Internationalen Film-Fest in Emden eingeladen und auch dort mit dem Publikumspreis für den Besten Film ausgezeichnet.

Doch neben den vielen Preisen und dem Erfolg auf Filmfestivals ist es die unmittelbare Publikumsreaktion, die Jeroen Krabbé am meisten freut. Seit dem Start des Films in seiner Heimat Holland im April 1998 bekommt er wöchentlich viele Briefe von Menschen, die ihm dafür danken, daß er mit seinem Film das Schweigen und Verdrängen nach dem 2. Weltkrieg angesprochen hat. "Es ist das Schönste, was dir als Regisseur passieren kann, wenn du weißt, daß du mit deinem Film die Menschen erreicht hast. "


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