Logo




Unterstützen Sie Kinoweb. Klicken Sie unseren Sponsor.

Ein Sommernachtstraum

Zaubereien


Liebestropfen

Die absurde Situation, daß Menschen der Liebe hinterherjagen, indem sie in die Pedale treten, ermöglichte es den Schauspielern, den Humor dort zu finden, wo Shakespeare ihn beabsichtigt hat - nämlich in den emotionalen Achterbahnfahrten, die diese jungen Menschen durchleben, weil Puck seine Liebestropfen allzu großzügig verteilt.

Szene "Die Komik liegt im geschriebenen Wort. Man muß gar nicht viel tun, um Lacher zu ernten", sagt Christian Bale. "Es geht darum, daß verliebte Menschen glauben, völlig normal zu sein. Alle anderen denken hingegen, sie seien verrückt. Das Komische daran ist, daß sie in ihrer Leidenschaft total ernsthaft sind. Beispielsweise sehe ich Demetrius als steifen, leicht soldatischen Typ - im Grunde ist er kein besonders liebenswerter Kerl", sagt Bale weiter. "Doch als er unter Pucks Einfluß gerät, verwandelt er sich plötzlich in einen törichten Liebestropf."

Dominic West, der den leidenschaftlichen Lysander spielt' erklärt: "Lysander liebt Hermia bis zu dem Zeitpunkt, als sie den Wald betreten. Lysanders dunkle Seite offenbart sich, als ihm die Elfen die Liebestropfen in die Augen träufeln. Er verliebt sich in die beste Freundin seiner Angebeteten - wie das so oft passiert -, aber sie erhört ihn nicht. Als er wieder erwacht, verliebt er sich erneut in die richtige Frau. Aber er hat in der Zwischenzeit einiges dazugelernt. Shakespeare hat dieses Stück unmittelbar nach 'Romeo und Julia' geschrieben, und im Grunde ist es eine humoristische Version von 'Romeo und Julia'", führt West weiter aus. "Shakespeare zeigt, wie töricht Menschen sind, die sagen 'Ich liebe sie so sehr, daß ich mich umbringen werde, wenn ich sie nicht besitzen kann'. Einerseits ist so eine Einstellung sehr nobel, andererseits aber auch ziemlich blauäugig."

Tränen

"In den Szenen, in denen Hermia weint - und sie weint ziemlich viel -, habe ich wirklich geweint", sagt Anna Friel. "Einfach deshalb, weil diese Figuren so echt sind." Und Hermia hat guten Grund, zu weinen: Zuerst ist sie in der beneidenswerten Lage, daß ihr zwei Männer den Hof machen, dann wird sie plötzlich von beiden links liegen gelassen. Und das ausgerechnet wegen ihrer besten Freundin, für die sie kurz zuvor noch Mitleid empfand.

Szene Calista Flockhart (Foto) spielt Hermias Freundin Helena, die Demetrius hinterherradelt, nachdem dieser Hermia in den Wald gefolgt ist. "Die Leute halten Helena für eine Besessene", sagt Calista Flochhart. "Ich glaube aber, daß sie nur unglaublich willensstark ist. Ich denke, daß sie tief in ihrem Inneren weiß, daß Demetrius nur sie liebt. Sie muß bloß seine Aufmerksamkeit erringen. Dieses Wissen um seine Liebe verleiht ihr Selbstvertrauen."

Fahrräder

"Helena ist nicht nur von Demetrius besessen", stellt Calista Flockhart klar. "Sie ist auch von ihrem Fahrrad besessen Das Fahrrad, mit dem ich am Set herumfuhr, wog ziemlich viel - was ich sehr hilfreich fand. Denn so hatte ich buchstäblich etwas in der Hand, mit dem ich kämpfen mußte."

Regisseur Michael Hoffman erklärt, daß das Fahrrad eine Art Symbol für Helenas Persönlichkeit darstellt. "Es steht stellvertretend für all jene Dinge, die Helena bei ihrer eigenen Person falsch wahrnimmt. Das macht sie zum Opfer", erklärt er.

"Sie denkt beispielsweise, daß sie nicht hübsch genug ist, nicht gut genug und nicht liebenswert genug. Mit diesem Fahrrad trägt sie bildhaft all jene Lasten und Fehlwahrnehmungen durch die Gegend, bis es ihr schließlich gelingt, diesen Ballast abzuwerfen."

Helenas Besessenheit für ihr Fahrrad färbte auf den Regisseur ab. Während der Dreharbeiten in den Cinecitta-Studios in Rom testete Michael Hoffman höchstpersönlich die antiquierten Zweiräder. Bevor er die Räder an seine Schauspieler übergab, machte er einen generellen Sicherheitscheck und überprüfte die Bremsen.

Natürlich besitzen die Fahrräder die Aufgabe, Dramatik und Komik zu transportieren, doch in erster Linie halfen sie dabei, ein praktisches Problem zu lösen. Das Budget sah nämlich nur eine begrenzte Summe für Spezialeffekte vor. "Puck sagt Dinge wie 'Ich eile, ich eile, sieh, wie ich eile; schneller als ein Pfeil vom Bogen eines Tataren' und 'Ich werde in vierzig Minuten einen Gürtel rund um die Erde legen", erklärt Hoffman. "Da fragte ich mich Wie soll ich das bloß in Bildern darstellen? Und hatte den Einfall, die Schildkröte durch ein Fahrrad zu ersetzen - eine Maschine, die Puck möglicherweise noch nie gesehen hat."

Waldgeister

Diese Überlegungen halfen Hoffman, die größte Herausforderung beim Dreh von Ein Sommernachtstraum zu bewältigen. "Am schwierigsten war es für mich, die Welt der Elfen darzustellen. Unsere Make-up-Abteilung hatte Wesen erschaffen, die ein bißchen so wirkten, als wären sie aus einem Traum entstiegen und konnten dadurch unsere bewußten Abwehrmechanismen durchdringen. Aber wie sollte der Übergang aus einer realen Umgebung in diese eindrucksvolle Welt voller Nymphen, Waldgeister, Zentauren, Medusen und zweiköpfigen Kreaturen gelingen?"

Damit dieser gelingt, zeigt die Anfangssequenz das geschäftige Treiben auf einer toskanischen Piazza und 300 Statisten, die von Kostümbildnerin Gabriella Pescucci mit Kleidern aus der Jahrhundertwende ausgestattet wurden. Genaue Beobachter werden jedoch auch ein paar Waldgeister mit Klumpfüßchen und Hörnern unter den Hüten entdecken, die damit beschäftigt sind, Dinge zu stehlen, um mit diesen Beutestücken aus der Moderne ihr Märchenreich technologisch aufzuwerten.

"Wir haben hier mit denselben Farbtönen Rostbraun, Ocker und Erdfarben gearbeitet, wie sie auch im Märchenwald vorkommen. Wir wollten diese beiden Welten verbinden", erklärt Ausstatterin Luciana Arrighi. "Wir haben die Piazza- und Theaterszenen in Montepulciano gedreht, einem außergewöhnlichen Ort mit wunderschöner Architektur. Montepulciano besticht durch eine Piazza, wie man sie sonst nirgendwo in Italien findet."

Verzaubertes Wetter

In Shakespeares Stück sorgen die Elfen mit einem Zauberspruch für schlechtes Wetter. Sie müssen wohl auch bei den Dreharbeiten dabeigewesen sein Als Hoffman und sein Team im Frühling in Montepulciano ankamen, überraschte sie in der für ihre sanften grünen Hügel und ihr einzigartiges Licht bekannten Gegend ein starker Schneeschauer. Produzentin Urdang engagierte Anwohner und drückte ihnen Schaufeln in die Hand. Am ersten Drehtag tauchte Kameramann Oliver Stapleton die Piazza in goldenes Licht, wahrend die Helfer eilfertig die restlichen Schneeberge wegschaufelten.

Das Wetter beruhigte sich erst, als das Team bei der Villa d'Este seine Zelte aufschlug. Dort ergänzten Bühnenmaler die bereits vorhandenen, faszinierenden Wandfresken mit ihren Wald- und Flußlandschaften durch Fresken, die Amors Großtaten darstellen. Die Innenaufnahmen von Theseus' Palast wurden in der Villa d'Este gedreht, wahrend die Außenaufnahmen und das Hochzeitsfest im Palazzo Farnesi in Caparolla entstanden.

Der Zauberwald

Die größte Leistung der Ausstatter war natürlich der Zauberwald, der eine gesamte Halle in Cinecittá einnahm. Um die Welt der Feen, die versteckt im Wald leben, darzustellen, orientierten sich Hoffman und Arrighi an vorchristlichen Gottheiten. "Wir hatten uns entschieden, daß sie heidnische Götter sind, die Tempel und andere Plätze einer früheren Kultur bevölkern", erklärt Arrighi. "Wir haben uns besonders von der Kultur der Etrusker inspirieren lassen, die in diesem Teil Italiens lebten, bevor die römische Kultur prägend wurde."

Oberons Königreich ist ein Ort voller Geheimnisse, magisch und bedrohlich zugleich. Es liegt in einem großen Tal mit alten etruskischen Tempeln und Grabmälern, die von Gras und Wurzeln überwuchert sind. Titanias Welt, die zum Teil prä-raphaelitischen Gemälden nachempfunden wurde, ist dagegen ein sehr weiblicher Ort. Die Elfen leben in einem kleinen, klassischen Tempel, und die Königin ruht in einem Nest, das für sie herauf- und heruntergefahren werden kann.

Hätte Federico Fellini die Szenerie vom Himmel herab betrachten können, hatte ihn der Geruch von frischem Holz, von Pflanzen und Blumen in "seinem" Studio 5 zutiefst erstaunt. Denn im Zauberwald wurden keine Attrappen verwendet. Und vom Set wäre Fellini sicher auch nicht enttäuscht gewesen, denn es stellt das aufwendigste und beeindruckendste Bühnenbild seit 'Rex' dar, dem gigantischen Ozeankreuzer aus Fellinis Schiff Der Träume. Das weitläufige Set war voller Tümpel, Moore, blubberndem Wasser, Rauch, Feuer und kleinen Wegen, auf denen sich die Schauspieler schon mal verirrten - ein faszinierender und romantischer Ort, an dem Waldgeister Fahrräder in ihren felsigen Werkstätten reparieren, Elfen in kleinen Grotten nähen und man einen Regieeinfall von Hoffman bewundern kann: die Elfenbar - eine der Überraschungen des Films.

Gemeistert?

Am Ende des schwierigen neunwöchigen Drehs waren Hoffman und Urdang überzeugt, daß sie die Aufgabe gemeistert hatten, die visuellen, emotionalen und thematischen Ebenen des vielschichtigen Stücks zu einer Einheit zu verschmelzen. "Für jeden ist etwas dabei", behauptet Urdang:

"Einerseits die impulsive Natur junger Liebe, die Hindernisse, die sich einem dabei in den Weg stellen, und die Möglichkeiten, wie man sie überwinden kann. Andererseits die reiferen Liebenden wie Titania und Oberon und der Herzog Theseus und seine Braut, die die Balance der Macht und den gegenseitigen Respekt zwischen Männern und Frauen repräsentieren. Und dann gibt es noch die idealisierte Liebe zwischen Bottom und Titania - die wir alle, glaube ich, nachvollziehen können. Diese idealisierte Liebe nehmen wir aus dem dunklen Wald mit in unsere Herzen und sie prägt unweigerlich die Art und Weise, wie wir danach die Welt sehen."

"Während ich an dem Film arbeitete, kristallisierte sich für mich das Thema heraus: Es geht um den Konflikt zwischen Liebe und Würde. Es geht darum zu entscheiden, wieviel man im Namen der Liebe von sich selbst aufgeben will", sagt Hoffman.

"Die Sehnsucht nach Liebe ist bei all diesen Menschen sehr ausgeprägt. Egal ob es Oberon ist, der so gut wie nichts aufgeben will, oder Helena, die bereit ist, alles zu opfern. Die beiden sind gegensätzliche Pole. Und die Geschichte von Bottom beweist, daß man manchmal gerade dadurch seine Würde erlangt, indem man sie aus Liebe aufgibt."


Logo.6
[ Vor | Zurück | Film-Home ]
[ kinoweb | Info | Suche | Post ]