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Sonnenallee
Sonnenallee - eine Mauerkomödie
Interview mit Leander Haußmann und Thomas Brussig
Wie unterschiedlich seid Ihr, von der Mentalität her?
Haußmann: Wir sind ein bißchen wie die beiden aus
der Serie "Die Zwei" - er wäre Roger
Moore, ich Tony Curtis. So könnte man unser Verhältnis
bezeichnen, wenn man liebevoll ist.
Brussig: Wir sind doch eher Schimanski und Tanner.
Haußmann: Egal - als Kommissare wären wir in jedem
Fall eine gute Charakterkonstruktion.
Brussig: Das ist wahr.
Haußmann: Und was das Drehbuch angeht ist es ja klar,
daß ich nicht das Leben von Thomas Brussig verfilmen kann.
Brussig: Ich habe aber auch nicht über mein Leben geschrieben.
Haußmann: Aber Du hast Deine Erfahrungswelt und Dein Umfeld
einfließen lassen. Das kannst Du doch von dem, was Du machst,
gar nicht loslösen. Ich habe auch meine Geschichten aufgenommen.
Brussig: Aber es gehört wirklich zu meinem Selbstverständnis
als Autor, daß ich nicht über mich selbst schreibe.
Die Erfindung ist immer edler als das Erlebte. Mir war auch klar,
als ich Dich angesprochen habe, daß Du anders bist, und
genau dafür habe ich mich interessiert. Ich hatte das Gefühl,
daß dieser Stoff dieses "andere", was durch Dich
kommt, braucht.
Wie bist Du gerade auf Leander gekommen?
Brussig: Ich hatte mal ein Interview mit ihm gelesen und fand
es klasse, wie er da über den Osten geredet hat. Er sagte
etwa: Die DDR war die totale Hippie-Republik, wir haben auf Matratzen
gelegen und gesoffen und uns ständig krankschreiben lassen.
Das war so unverkrampft. Ich mochte es, daß er nicht die
typische Geschichte vom totalitaristischen System gebracht hat.
Deshalb dachte ich: Er ist der Richtige. Ich fand es wichtig,
daß der Regisseur auch biographisch auf den Stoff reagiert,
nicht nur ästhetisch.
Haußmann: Das Komische dabei ist, daß ich ja immer
einmal einen Film machen wollte, aber eher einen Krimi oder einen
Abenteuerfilm. Ich hätte nie gedacht, daß ich einer
bin, der einen Ostfilm macht.
Aber mit Thomas Brussig wolltest Du das Thema dann doch
angehen?
Haußmann: Thomas ist auf eine gewisse Art natürlich
ein typischer Autor, mit dem es eben diese typischen Autoren-Konflikte
gibt. Der Autor denkt vom Regisseur doch immer, daß der
ein bißchen minderbemittelt ist und dem Kunstwerk die Substanz
entzieht. So ist das doch in jeder Beziehung (lacht). Nein, Thomas'
Qualität als Autor ist unbestritten. Er ist einer der wenigen,
die im deutschen Sprachraum Dialoge schreiben können. Ich
hätte mich nicht alleine hinsetzen und ein Drehbuch schreiben
können.
Brussig: Wenn es so ist, daß ich Dialoge schreiben kann,
dann habe ich bei Leander immer gesehen, daß er einer ist,
bei dem Dialoge lebendig werden. Leander hat aber auch viele
Einfälle dazugegeben, die mir gut gefallen haben. Z. B.,
daß die Geschichte nicht in den Achtzigern, sondern in
den siebziger Jahren spielen soll.
Haußmann: Die DDR war eigentlich immer in den Siebzigern.
Das kann man an den elektrischen Geräten ablesen und an
der Mode. Das ist fast eine eigene Kreation. Bei der Drehbucharbeit
habe ich immer nach Attraktivität gesucht, der Film sollte
attraktiv aussehen. Und dieser Junge, diese Hauptrolle, so wie
sie jetzt geschrieben und besetzt ist, hat dem Jugendideal, das
heute in den Filmen propagiert wird, etwas entgegenzusetzen,
ein neues Ideal. Ich bin auch stolz auf diese jungen Schauspieler,
die wir gefunden haben, Alexander Scheer, die Teresa Weißbach,
den Alexander Beyer und Robert Stadlober. Das durfte auch niemand
Bekanntes sein, den man sich dann anguckt, um zu sehen, wie er
das spielt.
Der Tanz durfte einem auch nicht bekannt vorkommen,
oder?
Haußmann: Der Tanz ist von mir. Ich wollte irgend etwas
haben, was so kultig ist wie der Tanz in "Pulp Fiction".
Mit den Jungs sind wir vor dem Dreh eine Woche weggefahren und
haben geübt. Denen mußte man ihre runden Bewegungen
abgewöhnen, die mußten eckig gehen und diese ganzen
Ghetto-Bewegungen vergessen. Ich hatte auch einen gewissen missionarischen
Eifer, daß man sich nach dem Film wieder zum Tanz auffordern
will. Oder daß man sich wieder die T-Shirts selber bemalt.
Das sind die kleinen Sachen, die ich so liebe, daß der
sich auf dieses geriffelte T-Shirt selber "Rock & Pop"
draufgekritzelt hat - da könnte ich mich totlachen. Außer
mir merkt das wahrscheinlich keiner.
Es gibt im Film eine sehr politische Stelle, als die
beiden Freunde plötzlich die Rollen tauschen: Der einstige
Rebell wird zum Kollaborateur, der Angepaßte dagegen rebelliert.
Haußmann: Der ganze Film ist politisch, fast in jeder
Szene werden die Figuren mit Politik konfrontiert. Ob Onkel Heinz
am Grenzübergang schmuggelt, ob die Familie zu Hause die
politische Situation auswertet, ob sie einem Rotarmisten gegenübersitzen,
ob die Jungs einen verbotenen Song auf der Straße hören
- jede Szene ist politisch. Nur ist es eben nicht ein Thriller.
Ich glaube auch nach wie vor, daß sich die DDR dafür
nicht eignet.
Brussig: Stimmt. Die eignet sich nur zur Burleske.
Haußmann: Wenn man genauer hinguckt, wird man sehen, daß
der Film vollkommen unrealistisch ist. Das Dekor, die Straße
- das sieht alles gebaut aus. So soll es sein. Ich finde es total
langweilig, wenn sechs Intellektuelle in einen Raum sitzen, miteinander
reden und so tun, als ob sie Manfred Krug wären. Ein unangenehmer
Gedanke, daß man versucht, diesen vollkommen unrealen Zustand,
in dem wir damals gelebt haben, realistisch zu machen. Dann wird
es langweilig. Dann wird es Fernsehspiel.
Was war das Schwierigste an diesem Stoff?
Haußmann: Am Anfang die Struktur. Mir geht es in Episodenfilmen
oft so, daß ich irgendwann die Lust verliere, weil ich
keinen habe, an den ich mich halten kann, mit dem ich mitgehe.
Eine Figur, die mir auch sympathisch ist, die durch diese Geschichte
durchläuft.
Die Frage war also: Wie kriegen wir diese ganzen Geschichten
unter und schaffen es trotzdem, daß man sagt: Hoffentlich
kriegt er die Schulschöne. Daß man immer in die Nebenstraßen
einbiegen kann, ohne die Hauptstraße wirklich zu verlassen.
Ich wollte dem Film auch einen richtigen emotionalen Höhepunkt
geben. Ich sage mal ein Beispiel, wo unsere Zusammenarbeit sehr
gut geklappt hat. Nämlich wie....
Brussig: Wie Wuschel erschossen wird?
Haußmann: Genau. Ich habe gesagt: Wir brauchen einen Toten.
Einen müssen wir opfern.
Brussig: Er sagte: An der Mauer sind Menschen umgekommen, das
muß in diesen Film hinein. Er hat mich mit bebender Stimme
angerufen und gesagt: Paß auf: Wuschel ist tot. Wuschel
stirbt. Das ist die Figur, die immer nur eins im Kopf hat: Er
will dieses Rolling Stones-Doppelalbum erbeuten. Ich habe gesagt:
Leander! Mach das nicht! Davon erholt sich der Film nie mehr,
wenn dieser liebe Wuschel dort liegt und tot ist. Nicht Wuschel
muß erschossen werden, sondern seine Platte - das ist eigentlich
noch schlimmer.
Kanntet Ihr beiden die Sonnenallee schon zu Mauerzeiten?
Haußmann: Ich nicht. Mir wurde die Sonnenallee erst durch
das Skript bewußt.
Brussig: Mich hat dieser Ort schon immer fasziniert. Schon in
meinem ersten Roman habe ich den Haupthelden dort leben lassen.
Da hat es aber noch keine große Rolle gespielt, er hat
das nur einmal reflektiert. Dieser Ort ist faszinierend, schon
allein, weil die Straße auch noch Sonnenallee heißt:
Das kurze Ende der Sonnenallee, das hat auch etwas Poetisches.
So fing das an. Ich habe diesen Stoff auch immer geliebt und
immer daran geglaubt.
Der Film kommt am 7. Oktober raus, dem 50sten Jahrestag
der DDR-Gründung. Ihr hättet ihn auch am 9. November,
dem zehnten Jahrestag des Mauerfalls starten können. Feiert
Ihr lieber Geburtstag, als Todestag?
Brussig: Natürlich! Die Filmschaffenden der DDR bündeln
ihre Kräfte und präsentieren der
Republik dieses Geburtstagsgeschenk.
Das Interview führte Sandra Maischberger
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