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Echte Kerle
Regie: Rolf Silber
Rolf Silber: "Der Film ist die fortgesetzte
Berichterstattung über die Realität mit den Mitteln
des Traumes, und genau das fehlt mir an deutschen Filmen",
sagt der Frankfurter Regisseur und Autor Rolf Silber, 43, und
liefert mit seinem eigenen Oeuvre das treffendste Beispiel für
den ersten Teil seiner These und zugleich den Gegenbeweis für
den zweiten. Silber weiß, wovon er spricht. Er hat den Nord-
und den Südpol der Filmkunst erforscht - sprich: sowohl Dokumentar-
als auch Kinderfilme gedreht und sich schließlich irgendwo
zwischen diesen Polen mit ungewöhnlichen Fernsehspielen und
Kinofilmen heimisch gemacht.
Ein Dutzend Jahre nach seinem ersten Kinofilm Kassensturz
(Hauptdarsteller: Christoph M. Ohrt) meldet sich Rolf Silber mit
"Echte Kerle" und einem brisanten zeitgenössischen
Thema im deutschen Kino zurück. Die lange Zwischenzeit hat
Silber keineswegs ungenutzt verstreichen lassen. Nach seinen Anfängen
in der zweiten Hälfte der Siebziger als Student an der Deutschen
Film- und Fernsehakademie in Berlin und als politisch-ökologisch
motivierter Dokumentarfilmer (u. a. Brokdorf - Protokoll einer
Besetzung, 1976: Frankfurt, Bankfurt, Punkfurt, 1978)
war Silber 1980 einer der Gründer und bis 1990 Mitinhaber
der Frankfurter Filmproduktion GmbH. Seine Gesellschaft verstand
sich sowohl als Reaktion auf den deutschen Spielfilm der 70er
Jahre (Silber: "Verquaste Kunstwerke, viel zu dogmatisch")
als auch auf das Kommerzkino der frühen 80er. Silber allerdings
heute: "Ich möchte den jungen deutschen Film nicht in
die Pfanne hauen, der wird ja so sehr in die Pfanne gehauen. den
muß man ja schon wieder schützen. Mir hat damals die
Seilschaft gefehlt - andererseits war es für mich auch uninteressant,
welcher Seite ich mich anschließen sollte."
Bei der Frankfurter Filmproduktion kam Silber allerdings
kaum zum Filmen. Zum Wohle der Firma arbeitete er als Kameramann,
Regisseur, Cutter und Autor für zahlreiche Fernsehproduktionen,
insbesondere im Bereich Kinderunterhaltung. "Die beste Schule,
Film zu lernen", schwärmt Silber, von dem etliche Drehbücher
für die ARD-Erfolgsserie "Käpt'n Blaubär"
stammen. "Das Genre Kinderfilm gilt zwar landläufig
als Kainsmal, aber vielseitiger, phantasievoller und genreübergreifender
kann man kaum drei Minuten kurze Geschichten erzählen. Es
reizt mich, den strunzlangweiligen deutschen ,Vorabendrealismus'
zu verlassen. Der deutsche Film muß flexibler und phantasievoller
werden. Merkwürdigkeiten müssen möglich werden,
denn daraus entsteht neue Lust. Da kann man viel vom Kinderfilm
lernen."
Seit 1990, als er die FFG verließ, konzentriert
sich Rolf Silber wieder massiv auf die Realisierung von Fernseh-
und Kinoproduktionen. Mit mehreren Fernsehspielen, darunter Fünf
Zimmer, Küche, Bad (1990) und Ausgespielt (1992/93),
trainierte er sich für seine erste Kinoproduktion nach elf
Jahren warm - Gelegenheit zum Experimentieren und Kontaktaufnahme
zu geeigneten Schauspielern und Mitarbeitern inklusive.
"Echte Kerle" markiert Silbers Weg "aus
dem Trainingslager heraus". Der Stoff für seinen jüngsten
Kinofilm entstammt Silbers eigener Erfahrungen in einer Schwulen-WG,
in der er fünf Jahre als "Alibi-Hetero" lebte. "Die
Grundstimmung ist sehr realistisch", beschreibt Silber die
Ausgangssituation. "Die Figuren bringen von vornherein einen
Satz von Konflikten mit, da geht's ans Existentielle. Der Film
beschreibt einen Zwischenzustand des Nicht-mehr genau-wissens-wo-mann-ist."
Silber begrüßt ausdrücklich die Entwicklung,
die die Situation der Schwulen in der Gesellschaft etwas entspannter
hat werden lassen. "Alte Tabus und Dogmen werden langsam
aufgebrochen. Und dann wächst da was durch, wenn man das
Pflaster nicht sauberhält." Insofern sei Echte Kerle
oben auch "Ausdruck eines Zeitgefühls", obwohl
die Idee zum Buch schon fünf bis sechs Jahre alt ist. älter
also als "Der bewegte Mann". Silber: "Die wachsende
Akzeptanz der Schwulen eröffnet dem Kino neue Erzählmöglichkeiten,
die Komödie erhält ein neues Betätigungsfeld."
Da können die immergrünen Themen Freundschaft. Vertrauen
und Liebe heutzutage ungeniert neu durchdekliniert werden - und
Silber nutzt diese Chance auf intelligente Weise.
Klischees umschifft er elegant. indem er sie mit
der Wirklichkeit konfrontiert. Rolf Silber: "Echte Kerle
spielt in Frankfurt, der härtesten und ruppigsten Stadt Deutschland.
Es sollte kein gepflegtes Mittelstandsambiente gezeigt werden,
denn die Wirklichkeit sieht nun mal anders aus. Frankfurt birgt
viele Kontraste - Bankmetropole versus (Flug)Hafenstadt ist nur
eine der vielen Ungereimtheiten, die die Stadt vibrieren lassen.
Die Stadt ist klein. Die Häuser sind hoch, 28 Prozent Ausländeranteil,
Frankfurt als Drogenumschlagplatz, als Fixerhauptstadt, das sind
weitere Attribute, die mich gereizt haben."
In früheren Fassungen der Story ist der Autoschlosser
Edgar noch Bankkaufmann gewesen oder hat mit Computergrafik zu
tun gehabt. Das war Silber und Bergmann aber viel zu gepflegt.
zu geleckt: "Das war uns zu fernsehspielig - wir wollten
das Ganze mehr auf die Straße verlegen, zu den echten Menschen.
Wir wollten absolute Kinobilder und keine ausgedachten Nutten
mit furchtbaren roten Stiefeln, wie sie diese TV-Produktionen
so oft bevölkern." Deshalb auch der harte Kontrast,
Schwule im Polizeimilieu anzusiedeln. Hier, im Präsidium
oder auf Streife, sehen sich bekennende Schwule einem erbarmungslosen
kollegialen Spießrutenlauf ausgesetzt. Im Künstlermilieu
gäbe es diese Reibung gar nicht. Durch den normalen Ort und
normale Menschen, die auch ihre Macken haben, werden die Figuren
sympathisch, nichts ist zu sehr gestylt. Silber: "Alle Personen
sind ambivalent angelegt, leben mit Konflikten. Auch ein Schwuler
ist eben nicht nur ein guter Mensch, nein: Edgar verschiebt halt
geklaute Autos."
Wie Rolf Silber die Schauspieler aussucht, die seine
Figuren mit Leben erfüllen sollen, kann er selbst nicht genau
erklären: "Bei der Schauspielerauswahl muß es
im Kopf klicken. dann stimmt es. Dann übernimmt mein Unterbewußtes
das Ruder. Sieht so aus, als hätten meine Vorderhirnlappen
für Echte Kerle ein Dreamteam zusammengestellt.'
Christoph M. Ohrt beispielsweise war für ihn
die ideale Besetzung. Schon beim Schreiben des Drehbuchs haben
Silber und Bergmann an ihn gedacht. "Er hat diese kokette
,Cary-Grant-Art', mit der man einen charmanten Macho spielen kann."
Die weiteren Hauptrollen hat Silber mit sehr unterschiedlichen
Typen besetzt, die trotzdem sehr gut zusammenpassen: "Wie
bei einer gelungenen Musiksession gibt es die beste Musik, wenn
die Chemie stimmt und jeder die Stärken des anderen kennt
und zuläßt."
Figuren interessieren Rolf Silber vor allem, wenn
sie auf der Suche sind und nicht gefestigt erscheinen. Brüche
und Entwicklungen sind ihm wichtig, schließlich steckt die
Suche nach dem Selbst voller Erkenntnis, Schmerz und Lust. Auch
sein Roman "Helter Skelter" (Eichborn-Verlag, 1993)
präsentiert vier pubertierende Kleinstadt-Kids auf der Suche
nach sich selbst. Silber: "Es ist immer wieder spannend zu
beobachten, was passiert, wenn die Eierschale platzt."
Ein so erfahrener Autor wie Silber weiß genau,
daß man bei der gleichzeitigen Arbeit als Autor und Regisseur
nicht zu fest am Buch kleben darf: "Auch wenn ich es geschrieben
habe, ist es nicht heilig." Silber kann da genüßlich
auf historische Vorbilder verweisen. Als junger Kameraassistent
arbeitete er für Regisseur Werner Schroeter: "Wir wohnten
im 14. Stock eines Hotels auf Sizilien, wo Palermo Wolfsburg
gedreht wurde. Wenn Schroeter nachts im Hotelzimmer Maria
Callas hörte, wußten wir: Jetzt schreibt er wieder
das Drehbuch um."
In London wurde Rolf Silber einmal gefragt, was er
beruflich mache, und er antwortete: "Ich bin ein deutscher
Komödienregisseur." Daraufhin erntete er großes
Gelächter; die Engländer nannten ihn gar spöttisch
"The last Unicorn". Das Vorurteil, daß Deutsche
keine Komödien machen können, existiert zweifeilos.
Daß es sich dabei aber tatsächlich nur um ein Vorurteil
handelt, beweist Rolf Silber mit Echte Kerle.
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